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84 | Theoretische Voraussetzungen
terverbreitet werden kann. Wie Varietäten, so werden auch Register inner-
halb dieses Varietätenraums nicht als klar abzugrenzende Einheiten, son-
dern als Verdichtungen in einem Kontinuum (vgl. Berruto 2004: 190) ver-
standen.
3.2 Sprachvariation und gesprochene Sprache
MĂĽndliche Face-to-Face-Kommunikation stellt einen variablen Bereich verbaler
Interaktion dar, der durch spezifische Kommunikationsbedingungen wie etwa
die Ko-Präsenz der Sprecher/-innen, die zeitlich synchrone Prozessierung und
interaktive Aushandlung und ggf. Ko-Konstruktion der kommunikativen Inhalte
sowie eine starke Situations- und Kontextgebundenheit geprägt ist. Bei der
Beschreibung dieses heterogenen Forschungs-gegenstands besonders hinder-
lich stellt sich dabei die in der Sprachwissenschaft – v.a. in Bezug auf gramma-
tische Fragestellungen – lange Zeit vorherrschende starke Schriftbezogenheit
dar, die in den letzten Jahren verstärkt unter dem Schlagwort des written langu-
age bias diskutiert wurde.116 Damit wird die paradoxe Situation beschrieben,
dass Phänomene gesprochener Sprache in ein Korsett der für geschriebene
Texte entwickelten Theorien und die damit einhergehenden begrifflichen Kon-
zepte und Kategorien gezwängt werden sollen, ohne den spezifischen Gegeben-
heiten mĂĽndlicher Kommunikation gerecht zu werden. Diesen Umstand spricht
u.a. auch Ehlich an:
Die grammatische Technik ist eine zutiefst und von Anfang an auf das Geschriebene bezo-
gene Herangehensweise an das Phänomen Sprache. […] Eine auf das Geschriebene zuge-
schnittene Technik soll auf das Gesprochene – was nun? angewendet werden? In unserem
täglichen linguistischen Geschäft sind wir bei dem Versuch, eine Grammatik der gespro-
chenen Sprache zu schreiben, auf Schritt und Tritt mit dieser Paradoxie konfrontiert. (Eh-
lich 2006: 12)
Diese „Paradoxie“ zeigt sich bereits mit Blick auf frühere Auseinandersetzungen
mit mündlicher Kommunikation im Rahmen der antiken Rhetorik, die – als
Redekunst der geschriebenen Sprache – ebenfalls literarisch orientiert ist:
Wir stoĂźen also auf einen parallelen Entwicklungsgang in Bezug auf beide Bereiche des-
sen, was zu den Grundlagen des analytischen Umgangs mit Sprache gehört, auf zwei Pa-
radoxien, die Paradoxie, dass wir eine Grammatik der gesprochenen Sprache intendieren
||
116 Eine besonders intensive Auseinandersetzung mit der Problematik des „written language
bias“, der Schriftbezogenheit in der Linguistik, findet sich bei Linell (1998; 2005; 2009).
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Jugendkommunikation und Dialekt
Syntax gesprochener Sprache bei Jugendlichen in Osttirol
- Title
- Jugendkommunikation und Dialekt
- Subtitle
- Syntax gesprochener Sprache bei Jugendlichen in Osttirol
- Author
- Melanie Lenzhofer
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-050330-2
- Size
- 14.8 x 22.0 cm
- Pages
- 502
- Category
- Geographie, Land und Leute