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Sprachvariation und gesprochene Sprache | 89
Als Zwischenposition zwischen den bei Zeman (2013) zusammengefassten zwei
Ansätzen prototypisch-binärer und diversifikatorisch-multifaktorieller Modellie-
rung ist noch eine dritte Perspektive auf das Verhältnis von Mündlichkeit und
Schriftlichkeit zu nennen, die als transmedial-interaktionale Perspektive auf das
Verhältnis von gesprochener und geschriebener Sprache bezeichnet werden
soll. Vertreter dieser transmedial-interaktionalen Konzeption (vgl. Beißwenger
2007; Bücker 2012; Imo 2013) sehen – ähnlich wie jene der diversifikatorisch-
multifaktoriellen Konzeption – Mündlichkeit nicht als „Gegenstück“ von
Schriftlichkeit (und vice versa), fokussieren aber weniger kommunikative Prak-
tiken an und für sich als vielmehr die Transmedialität sprachlicher Äußerungs-
formen und ihre Prozessierung in verbaler Interaktion. Dieser Ansatz versucht
den Besonderheiten computervermittelter Kommunikation gerecht zu werden,
deren stetiger Vergleich mit medial mündlichen Gesprächen „zu einer unange-
messenen Defizitperspektive […] verführen kann“ (Bücker 2012: 73). Die an
Mündlichkeit oder Gesprächen orientierte Analyse von z.B. Chats läuft Beiß-
wenger (2007: 199) zufolge Gefahr, „dem Phänomen letztlich durch Anwendung
‚gesprächsanalytischer Zugänge mit Abstrichen‘ gerecht werden zu wollen und
dabei die Alleinstellungsmerkmale der Chat-Kommunikation (synchron122, aber
textbasiert) lediglich als ‚besondere Rahmenbedingungen‘ […] abzutun.“ Eine
transmediale Auffassung von Sprache unterscheidet daher nicht binär zwischen
Mündlichkeit und Schriftlichkeit, sondern fokussiert Sprache-in-Interaktion.
Dies gründet darauf, „dass zwischen der computervermittelten Kommunikation
und der mündlichen Kommunikation enge Bezüge bestehen, die durch die in-
teraktionale Struktur begründet sind“ (Imo 2013: 99). Sprache-in-Interaktion
meint also Kommunikation, in der die Interagierenden 1. gemeinsam (u.a.
sprachlich) eine Situation erzeugen und Interpretationen dieser Situation lie-
fern und 2. sich dabei wechselseitig wahrnehmen, aufeinander reagieren und
gemeinsam sprachliche Strukturen erzeugen (vgl. Imo 2013: 50) – welche Medi-
en dabei zum Einsatz kommen und inwiefern dabei kommunikative Praktiken
umsetzt werden, ist nicht vordergründig relevant. Der transmedial-
interaktionale Ansatz orientiert sich damit stark an Grundannahmen der Inter-
aktionalen Linguistik, auch hinsichtlich der Prozessierung und Emergenz
||
122 Um dem Vorkommen von quasi-synchronen Texten bzw. Gesprächen in comuptervermit-
telter Kommunikation auf theoretischer Ebene gerecht zu werden, plädiert Dürscheid (2003: 8)
dafür, das Nähe-Distanz-Modell von Koch/Oesterreicher neben der medialen und der konzepti-
onellen Ebene um eine weitere Ebene der Unterscheidung in synchrone, quasi-synchrone und
asynchrone Kommunikation zu erweitern. Zur Anwendung des Nähe-Distanz-Modells auf
dialogische Äußerungsformen computervermittelter Kommunikation vgl. auch Dür-
scheid/Brommer (2009).
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Jugendkommunikation und Dialekt
Syntax gesprochener Sprache bei Jugendlichen in Osttirol
- Title
- Jugendkommunikation und Dialekt
- Subtitle
- Syntax gesprochener Sprache bei Jugendlichen in Osttirol
- Author
- Melanie Lenzhofer
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-050330-2
- Size
- 14.8 x 22.0 cm
- Pages
- 502
- Category
- Geographie, Land und Leute