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untersagen: „Stifft ließ daraufhin die Homöopathie durch Metternich verbie-
ten.“108 Die Habsburgischen Lande schienen also vor dem Simile-Gespenst
sicher zu sein.109 Doch dann sprang der Homöopathie ein unerwarteter Hel-
fer zur Seite, den wir bereits kennengelernt haben: die Cholera. Wie bereits
ausgeführt, verschlimmerten die Behandlungsmethoden der konventionellen
Ärzte für die Cholerakranken die Lage noch, sahen sie doch „unter anderem
vor, den ohnehin schon geschwächten Kranken zusätzlich zur Ader zu lassen
und ihm das Trinken von Wasser zu verbieten.“110 Die Homöopathen aber
wählten sanftere Behandlungsmethoden, verabreichten verdünnte Arzneien
und sorgten vor allem für die Zufuhr von Flüssigkeit. Und so erwarb sich die
Homöopathie den Ruf, der Schulmedizin resp. Allopathie überlegen zu sein,
was die etablierte Ärzteschaft wenig erfreute. Der Groll der konventionell
behandelnden Ärzteschaft, an deren Spitze Stifft und Raimann standen, wur-
de durch die Tatsache, dass sich unter den Homöopathen in Wien auch
Geistliche hervortaten, die über ihr religiöses Amt großen Einfluss auf die
Bevölkerung ausübten, noch verstärkt: „Der Priester und Arzt Johann Ema-
nuel Veith, der seinen Bruder mit ihrer [der Homöopathie] Hilfe von einem
Magenleiden geheilt hatte, wandte sie während der Epidemie mit Erfolg an.
Von der Kanzel des Stefansdoms herab verkündete er laut, dass von seinen
125 Patienten nur drei verstorben seien, und nannte die Homöopathie ‚Rette-
rin vor der Seuche‘.“111 In Wien wurde die Homöopathie also immer populä-
rer, und von Wien aus verbreitete sich der „inzwischen legendäre Ruf, den
sich die Homöopathie damals im Kampf gegen diese todbringende Seuche
erwarb“,112 in Windeseile in ganz Europa. So berichtete etwa Karl Julius
Aegidi, der Leibarzt des preußischen Kronprinzen, gegen Ende des Jahres
1831 aus Düsseldorf an Hahnemann:
„Die Cholera fördert die Liebe zur Homöopathie ungemein. Die meisten der
hiesigen Vornehmen haben Verwandte in Wien oder Frauen, stehen daher mit
Wien in genauem Verkehr, und in Kenntnis gesetzt von den überraschenden
108 Ehrlich, Ärzte, Bader, Scharlatane, S. 198.
109 Zur Homöopathie in Österreich vgl. Sonia Horn (Hrsg.), Homöopathische Spuren.
Beiträge zur Geschichte der Homöopathie in Österreich (Wien 2003); Eduard Huber,
Geschichte der Homöopathie in Oesterreich (Cisleithanien), in: Allgemeine Homöopa-
thische Zeitung 153 (1906), S. 172-174, 184-191; Hannelore Petry, Die Wiener Homöo-
pathie 1842-1849 (Diss. Mainz 1954).
110 Wischner, Kleine Geschichte der Homöopathie, S. 11.
111 Ehrlich, Ärzte, Bader, Scharlatane, S. 200.
112 Jütte, Geschichte der Alternativen Medizin, S. 217.
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Des Kaisers Leibarzt auf Reisen
Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832