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der Meinung war, dass zumindest die Einwohner des Landesinneren „in
keiner Hinsicht etwas Ausgezeichnetes darbiethen“, so fand er, wohl vom
Küstenstädtchen Capodistria milder gestimmt, für die küstennah lebenden
Istrier positivere Worte. Auffallend ist, dass Raimann die Armut der Binnen-
istrier mit ihrem seines Glaubens mehr stumpfen und wenig moralischen
Charakter in unmittelbaren Bezug setzt. Scheinbar war er, in Umkehrung des
Sprichworts „Geld verdirbt den Charakter“ und in Anlehnung an Bert
Brechts „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“, der Auffassung,
dass es eines gewissen Wohlstands bedürfe, um moralisch sein zu können.
Ethnische Zugehörigkeiten bringt Raimann hier nicht ins Spiel. Dabei wäre
dies einfach gewesen, bestand doch der Großteil der Bevölkerung der von
Raimann bereisten Westküste Istriens aus Italienern, während das Innere
Istriens hauptsächlich von Slawen bevölkert wurde.206 Raimann aber argu-
mentierte nicht mit der Beschaffenheit von Nationalcharakteren und führte
den seiner Auffassung nach höheren Stand von Moral und Kultur der Küs-
tenbevölkerung nur auf einen höheren Grad an Wohlstand zurück:
„Was nun die physische und moralische Beschaffenheit der Istrianer, in so-
weit ich diese Provinz kennen gelernt habe, betrifft, so macht wohl große
Armuth und Dürftigkeit, welche in dem von der Küste mehr entfernten mittle-
ren, sehr gebirgigen wenig fruchtbaren und wenig bebauten Theile angetrof-
fen wird, dass die Bewohner dieses Theiles in keiner Hinsicht etwas Ausge-
zeichnetes darbiethen; an den fruchtbaren, mehr kultivirten, und ein warmes
beständiges Klima genießenden Küsten aber ist das männliche Geschlecht in
der Regel groß, stark, gut gebaut, von regelmäßiger, ausdrucksvoller u
Verstand andeutender Gesichtsbildung, munter und lebhaft in Gebärden und
Reden, leicht aufzuregen, und heftig in Aeußerungen, aber guten Gemüthes
und wie das weibliche Geschlecht religiös. Letzteres ist nicht so hübsch ges-
taltet, denn Schultern, Hände u Füße sind breit und stark, als vielmehr haupt-
sächlich von regelmäßiger, oft schöner Gesichtsbildung mit dunklem Haar,
frischen Gesichtsfarben, u großer Lebhaftigkeit im Sprechen, wobey alle Ge-
sichtsmuskeln, die Arme u nicht selten auch die Beine, ja der ganze Leib
zugleich mit in Thätigkeit versetzt zu werden pflegen; in Pirano, Parenzo,
Rovigno, Buje u Capo d’Istria bemerkte ich Höflichkeit, und Gastfreundlich-
keit sowohl gegen mich als auch gegen das übrige Gefolge Sr. Majestät. Der
Anzug war meistens buntfarbig, minder geschmackvoll, doch reinlich, aber
wahrscheinlich nicht auch so zu anderen Zeiten, als jetzt während der Anwe-
senheit Ihrer Majestäten.“
206 Zur ethnischen Zusammensetzung der Bevölkerung Istriens vgl. Schneider, Imendörf-
fer, Mein Österreich, mein Heimatland, Bd. 2, S. 168-170.
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Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832