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63 Fischer
Kunst nach Ordnung, Auswahl und System
basierte das Werk – in Anleh-
nung an Christ – auf einer
Sammlung von Künstlerbio-
graphien. Der „Brief an einen
Liebhaber der Malerei“ war
den „eclairissemens“ nur als
eine Einleitung vorangestellt
und enthielt eine Auflistung
der Gemälde der Sammlung
Hagedorns und knappe An-
gaben zu den in der Samm-
lung vertretenen Künstlern.
Den weit größeren und maß-
geblicheren Teil der Publika-
tion machten die „eclairisse-
mens“ aus, die sich aus bio-
graphischen Angaben zu
Künstlern und stilkritischen
Werkanalysen ihrer jeweili-
gen Œuvres zusammenset-
zen. In sogenannten „disgressions“ wurden auch zahlreiche Künstler beschrieben, die in
Hagedorns Sammlung nicht vertreten waren, ihm aber für den Zusammenhang wichtig
erschienen. Diejenigen Künstler, zu denen Hagedorn erstmals Auskünfte gab, wurden mit
einem Sternchen versehen, jene, über die er Neues berichten konnte, mit zwei. Speziell
zur Deutschen Schule finden sich die meisten „disgressions“ und Zusätze.
Dem erkennbar zentralen Anliegen einer Aufwertung und Anerkennung deutschen
Kunstschaffens versuchte Hagedorn in zweierlei Weise entgegenzukommen: zunächst durch
die Ausarbeitung einer historischen Rekonstruktion der deutschen Schule, die – analog zur
italienischen Kunst – eine Kontinuität in der Entwicklung von den ersten Anfängen neuzeit-
licher Kunst bis in die Gegenwart aufweist. So stellt Hagedorn den eigentlichen „eclairisse-
mens“ zu den meist zeitgenössischen deutschen Künstlern einen umfassenden Überblick
über die „Anciens peintres allemands. Et principalement de ceux qui ont gravés en petit“182
voran und fügt ihnen gegen Ende seiner Studie ein kurzes Kapitel zu deutschen Kunst-
akademien ein, wobei die Künstler der Wiener Kunstakademie besonders hervorgehoben
wurden.183
Die historische Darstellung einer eigenständigen deutschen Malerschule stellte im spä-
ten 18. Jahrhundert weitestgehend ein Desiderat dar, das sich mit dem Gemeinplatz be-
gründete, die deutsche, insbesondere die alte deutsche Kunst mit dem sogenannten
„goût gothique“ gleichzusetzen. Die Überwindung des „gotischen Geschmacks“ bildete
daher das Kernproblem beim Versuch, die deutsche Kunst in ihrer Bedeutung zu heben.
Zwar räumte Hagedorn den italienischen Künstlern eine schnellere Abkehr vom gotischen
Geschmack ein, führte aber einige exemplarische Gegenbeispiele an: es hätten die Stiche
von Georg Pencz den „vrai goût de Raphael“184, die profunde Kenntnis der Anatomie in
der Zeichnung des Heinrich Aldegrever wiederum die Perfektion Michelangelos.185
Die Tatsache, dass viele der deutschen Künstler der kaiserlichen Sammlung bei Ha-
gedorn entweder das erste Mal oder mit neuen Kenntnissen genannt worden sind, und
der Umstand, dass das Werk in deutschen und Schweizer Künstlerkreisen große Reso-
nanz gefunden hat,186 lassen vermuten, dass sich auch Mechel in seiner Eigenschaft als
Verleger mit den eclairissemens auseinandergesetzt hat. Die beiderseitige Betonung des
patriotischen Moments und die damit verbundene Hypothese einer deutschen Schule, Abb. 41
Grundriss des Oberen Belvedere, Detail:
rechter Flügel, zweiter Stock mit der deut-
schen Schule, in: Mechel 1783, Anhang
Abb. 40
„Dritte Wand, dem Eingang gegenüber“ im
vierten Zimmer („Gemälde Niederländischer
Meister“) der niederländischen Schule im
zweiten Stock des Oberen Belvedere. Digitale
Rekonstruktion nach Mechel 1783
(Rekonstruktion: Autorin)
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837), Volume 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Subtitle
- Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837)
- Volume
- 1
- Author
- Gudrun Swoboda
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 312
- Category
- Kunst und Kultur