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Fischer
Kunst nach Ordnung, Auswahl und System
die nach der Überwindung des gotischen Geschmacks kontinuierlich zur Meisterschaft
aufsteigt, verweisen auf analoge Interessen, die in der Aufstellung der deutschen Schu-
le durch Mechel zur Anwendung kamen.
Es wird die deutsche Kunst im zweiten Stock des Belvedere mit den Worten eingeführt:
„Hier sind die Beweise was unsere fleißigen unermüdeten Väter in der Kunst gethan ha-
ben.“185 (Abb. 42, 43) Diese „Beweise“ liefert Mechel auf bemerkenswerte Weise: Er stellt
an den Beginn der Chronologie der deutschen Schule ein Altar-Triptychon eines gewissen
Thomas von Mutina, heute als der italienische Künstler Tommaso da Modena (1325–1379)
bekannt, und datiert es auf 1297. Seinem Dafürhalten nach war das Werk das erste Beispiel
für Ölmalerei. Mechel übersetzt irrtümlicherweise die lateinische Ortsbezeichnung „Muti-
na“ mit Muttersdorf, einer Ortschaft in Böhmen.186 In Zusammenhang mit dieser produk-
tiven Fehleinschätzung steht Gotthold Ephraim Lessings bekanntes Werk Vom Alter der Oel-
malerey aus dem Theophilus Presbyter (1774), der in der mittelalterlichen Handschrift eben
des Theophilus Presbyter eine Anleitung zur Herstellung von in Leinöl aufgelösten Farben
fand.187 Wie Alice Harnoncourt rekonstruieren konnte, untersuchte – angeregt durch
Lessings Schrift – der Professor für Universal- und Literaturgeschichte Franz Lothar von Ehe-
mant dieses Bild aus Schloss Karlstein bei Prag und weitere Gemälde von Theoderich
von Prag sowie Nikolaus Wurmser und kam mittels eines „Geheimrezepts“ eines gewissen
Restaurators Kastner zum Schluss, dass es sich um „wahre Oelgemälde“ handle. Nicht nur
Mechels Interesse war damit geweckt; Kaiser Joseph II. ordnete – wohl aufgrund der An-
regung von Kaunitz – die Überführung der Bilder nach Wien an.188 Nach einer ersten offizi-
ellen Untersuchung in der Akademie, die die These Ehemants zu bestätigen schien, kamen
die Bilder 1780 unter großer Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit in die Galerie. Hilchenbach
berichtete 1781 enthusiastisch: „In keiner Galerie sah man noch diesen Pinsel; in keinen
älteren Kunstnachrichten las man die Nahmen Mutina, Wurmser und Theodoricus;
nirgends redete man noch in unserem Vaterland entschieden von wirklich vorhandenen
Oelgemälden aus dem dreyzehnden und vierzehnden Jahrhundert. – Hier sind nun die
Proben, hergeschafft vom Schlosse Karlstein aus Böhmen, beurkundet aus den Archiven
des Landes; und wie die von mehreren Künstlern in Gegenwart des Fürsten von Kaunitz
gemachten Proben es zeigten – wie der Augenschein jeden es lehren kann, unwidersprech-
liche Anwendung des Oels.“189
Dass in der ausführlichen Beschreibung der vermeintlichen Ölmalereien in der französi-
schen Fassung des Galeriekatalogs Franz Lothar von Ehemant von Mechel mit keiner Silbe
erwähnt wurde, ist wohl darauf zurückzuführen, dass Mechel vor allem eigene Interessen
Abb. 42
Tommaso da Modena, Maria mit Kind,
hl. Wenzel und hl. Palmatius, 1355–1359.
Schloss Karlstein bei Prag
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837), Volume 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Subtitle
- Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837)
- Volume
- 1
- Author
- Gudrun Swoboda
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 312
- Category
- Kunst und Kultur