Web-Books
in the Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Recht und Politik
Der Stoff, aus dem Konflikte sind - Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
Page - 65 -
  • User
  • Version
    • full version
    • text only version
  • Language
    • Deutsch - German
    • English

Page - 65 - in Der Stoff, aus dem Konflikte sind - Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz

Image of the Page - 65 -

Image of the Page - 65 - in Der Stoff, aus dem Konflikte sind - Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz

Text of the Page - 65 -

DEUTSCHLANDS KONFRONTATIVER UMGANG MIT DEM KOPFTUCH DER LEHRERIN 65 Der EGMR hat in den genannten Entscheidungen zur Kopftuchproblematik in der Schweiz und der Türkei ausdrücklich einen weiten Spielraum (›margin of appreciation‹) zur Beurteilung der Notwendigkeit restriktiver Verbote im öf- fentlichen Bereich eingeräumt (zur Schweiz siehe auch Wyttenbach in diesem Band). Im Fall der zum Islam konvertierten Grundschullehrerin Lucia Dahlab im Kanton Genf wurde der Entscheidung vom 15.02.2001 zu Grunde gelegt, dass laut Verfassung und Schulgesetz im Kanton Genf säkulare Grundsätze zu gelten hätten und daher strikte Neutralität gegenüber den Schülerinnen und Schülern zu wahren sei.40 Die Einschränkung der Religionsausübung werde legitimiert durch ein Gesetz, wie es Art. 9 Abs. 2 EMRK fordert. Die mit dem Verbot verfolgten Zwecke seien legitim und »in einer demokratischen Ge- sellschaft notwendig«, wie es der Art. 9 Abs. 2 EMRK verlangt; daher sei die so lautende Einschätzung der staatlichen Behörden nicht zu beanstanden. Im Fall ›Leyla Şahin v. Turkey‹41 stellte sich der Großen Kammer des Straßburger Gerichtshofs die Frage, ob Studentinnen und Schülerinnen das Kopftuchtragen verboten werden könne. Şahin wollte in einer staatlichen Istanbuler Universität Medizin studieren, wurde jedoch zu Lehrveranstaltun- gen nicht zugelassen, da sie ein Kopftuch trug. Sie wich schließlich nach Wien aus, um dort Medizin zu studieren. Das Verbot und die Sanktion beruh- ten auf einem Erlass des Vizekanzlers der Universität von 1998, in dem Bärte für Männer und islamische Kopftücher für Frauen untersagt wurden. Die Gro- ße Kammer des EGMR entschied am 10.11.2005, dass keine Verletzung der Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Art. 9), des Rechts auf Privat- und Familienleben (Art. 8), der Meinungsfreiheit (Art. 10) und des Dis- kriminierungsverbots im Hinblick auf das Geschlecht (Art. 14) festzustellen sei. Das Recht auf Bildung (Art. 2, Protokoll Nr. 1) werde zwar empfindlich eingeschränkt, jedoch seien in der Universität praktikable Lösungen für die Studentinnen angeboten worden (gemeint sind Perücken). Bemerkenswert ist die Abweichende Meinung, die die belgische Richterin Françoise Tulkens formulierte. Sie stellte heraus, dass es unter den europäi- schen Mitgliedstaaten des Europarats nur sehr wenige laizistische Regime ge- be und die Türkei das einzige Land sei, welches Studentinnen, also erwach- senen Personen, das freiwillige Tragen von Kopftüchern untersage. Insofern sei es keineswegs üblich und selbstverständlich in Europa, dass ein Staat das Tragen religiöser Kleidung zur Aufrechterhaltung von Ordnung und Demo- kratie verbiete. Ein derartiger Konsens existiere unter den Mitgliedern des Europarats und Unterzeichnern der EMRK nicht, im Gegenteil. Zudem hätten die Verbotsgründe und Kausalitäten im Einzelnen dargelegt und vom Gericht – auch anhand des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit – überprüft werden 40 EGMR v. 15.02.2001, Lucia Dahlab v. Switzerland, Antrag Nr. 42393/98. 41 EGMR v. 10.11.2005, Leyla Şahin v. Turkey, Antrag Nr. 44774/98.
back to the  book Der Stoff, aus dem Konflikte sind - Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz"
Der Stoff, aus dem Konflikte sind Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
Title
Der Stoff, aus dem Konflikte sind
Subtitle
Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
Authors
Sabine Berghahn
Petra Rostock
Publisher
transcript Verlag
Date
2009
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-89942-959-6
Size
14.7 x 22.4 cm
Pages
526
Keywords
Religion, Migration, Geschlechterverhältnisse, Demokratie, Rechtssystem, Politik, Recht, Islam, Islamwissenschaft, Gender Studies, Soziologie, Democracy, Politics, Law, Islamic Studies, Sociology
Category
Recht und Politik
Web-Books
Library
Privacy
Imprint
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Der Stoff, aus dem Konflikte sind