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JUDITH WYTTENBACH
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Religionsfreiheit der Einzelnen zu schützen, aber auch den konfessionellen Frieden im
Geiste der Toleranz aufrecht zu erhalten« (BGE 123 I 296).13
Kopftuchtragen ohne religiösen Hintergrund
Ohne religiöse Konnotation kann das Kopftuchtragen Ausdruck der persön-
lichen Freiheit in Art. 10 Abs. 2 (Wahl der Kleidung und der äußeren
Erscheinung; siehe dazu Aubert 1998: 482; Gloor 2006: 3) bzw. des Rechts
auf Schutz der Privatsphäre in Art. 13 BV sein (z.B. das Tragen des Kopf-
tuchs nach Haarausfall in der Folge medizinischer Behandlung). Das Recht
auf Schutz der Privatsphäre umfasst nach der bundesgerichtlichen Praxis14
unter anderem den Anspruch, dass Menschen ihr privates Leben nach eige-
nem Gutdünken gestalten dürfen und ihre Intimsphäre geschützt bleibt. Der
Schutz beschränkt sich dabei nicht strikt auf die Privatsphäre, sondern wirkt
in den öffentlichen Raum hinein (Kiener/Kälin 2007: 147 f).
Internationale Garantien
Der verfassungsrechtliche Schutz wird ergänzt durch die von der Schweiz
ratifizierten regionalen und internationalen Menschenrechtsabkommen, die im
monistischen System unmittelbar Geltung erlangen. Die Garantien können di-
rekt vor Gericht angerufen werden, sofern sie justiziabel sind. Dies ist ins-
besondere bei allen Garantien der Fall, welche die religiöse Überzeugung ga-
rantieren und schützen, wie Art. 9 der »Konvention zum Schutze der Men-
schenrechte und Grundfreiheiten« (EMRK)15, Art. 18 UNO-Pakt II16 und Art.
14 des »Übereinkommens über die Rechte des Kindes« (KRK)17. Art. 30
KRK sichert überdies ethnischen und religiösen Minderheiten das Recht zu,
ihre kulturellen und religiösen Gebräuche praktizieren zu dürfen. Ebenfalls
vor schweizerischen Gerichten direkt anrufbar sind akzessorische Normen,18
welche Diskriminierungen auf Grund der religiösen Überzeugung verbieten,
13 Die Schweizer Rechtschreibung kennt kein ›ß‹, sondern löst es stets zum ›ss‹
auf. Schweizer Originalzitate in diesem Text entsprechen demnach dieser
Schreibweise.
14 BGE v. 23.02.1977, BGE 103 Ia 293 E. 4a.
15 »Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten« v.
04.11.1950, in Kraft getreten für die Schweiz am 28.11.1974 (geändert durch
das Protokoll Nr. 11 v. 11. Mai 1994).
16 »Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte« v. 16.12.1966,
UNO-Pakt II, in Kraft getreten für die Schweiz am 18.09.1992.
17 »Übereinkommen über die Rechte des Kindes« v. 20.11.1989, KRK, in Kraft
getreten für die Schweiz am 26.03.1997.
18 Akzessorische Diskriminierungsverbote können nur im Zusammenhang mit der
Anwendung der anderen Garantien des jeweiligen Übereinkommens angerufen
werden.
Der Stoff, aus dem Konflikte sind
Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Title
- Der Stoff, aus dem Konflikte sind
- Subtitle
- Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Authors
- Sabine Berghahn
- Petra Rostock
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-89942-959-6
- Size
- 14.7 x 22.4 cm
- Pages
- 526
- Keywords
- Religion, Migration, Geschlechterverhältnisse, Demokratie, Rechtssystem, Politik, Recht, Islam, Islamwissenschaft, Gender Studies, Soziologie, Democracy, Politics, Law, Islamic Studies, Sociology
- Category
- Recht und Politik