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STEPHIE FEHR
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hohen Anforderungen gestellt. Wie im deutschen Recht läge der Schwerpunkt
auf einer Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Einschränkung. Jedoch gibt es
im Vereinigten Königreich keine klare Systematik für deren Durchführung.
Die fehlende Erklärung, wie die Interessenabwägung in den ›Religion and
Belief Regulations‹ zu vollziehen ist, gilt in der juristischen Diskussion als ein
Hauptnachteil des Gesetzes (Vickers 2003:193). Zudem erkennt die Lehre an,
dass die Religionsfreiheit mit erhöhter Wahrscheinlichkeit im Vergleich zu
anderen Freiheiten mit den Rechten anderer kollidieren kann. In der Arbeits-
welt bedeute dies, dass der Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin einen Kom-
promiss finden müsse, der den kollidierenden Ansprüchen der Beteiligten
gerecht wird (Barmes/Ashtiany 2003: 294; McColgan 2005: 631). In Fällen,
in denen mehrere Menschenrechte miteinander konkurrieren, muss ein beson-
ders strenger Maßstab angelegt werden, um die jeweilige Wichtigkeit oder
den jeweiligen Grad der Beeinträchtigung der in Frage stehenden Interessen
festzustellen. Da ein einheitlicher Weg dafür nicht rechtlich festgeschrieben
ist, geht lediglich aus einigen höchstrichterlichen Urteilen eine Pflicht zur
möglichst umfassenden Interessenabwägung hervor. Dabei wurde zum Teil
auch die Proportionalität (=Verhältnismäßigkeit) des Eingriffs überprüft
(Knights 2007: 67 ff). Abgesehen von dieser Unklarheit dürfte in der Praxis
schon eine reine Abwägung der gegenläufigen Interessen ergeben, dass die
reale Verletzung der Religionsfreiheit der Lehrerin, die kein Kopftuch tragen
darf, schwerer wiegend ist als eine potentielle Beeinträchtigung der Rechte
der Schüler, die ein religiöses Merkmal sehen müssen. Dass sie dies in be-
sonderer Weise in ihren Rechten verletzt, müsste erst einmal von denen auf-
gezeigt werden, die solches behaupten.
Legitimität der Landesschulgesetze post-Ludin
Entsprechend dem Karlsruher Urteil zum Fall Ludin haben acht deutsche
Bundesländer ihre Schulgesetze in restriktiver Weise ergänzt. § 38 des baden-
württembergischen Schulgesetzes, der nach dem Urteil zügig im Jahre 2004
geändert wurde, enthält nun eine Verbotsregelung bezüglich religiöser, welt-
anschaulicher oder politischer Kleidung oder Zeichen, welche die Neutralität
des Staates, den Schulfrieden oder Rechte anderer gefährden könnten; dabei
sind jedoch christliche und andere okzidentale Werte und Traditionen von
diesem allgemeinen Verbot religiöser und anderer Bekundungen ausgenom-
men. Politiker/innen und Parlamentsmehrheit in dem Bundesland wollten dies
als Ausnahme vom Verbot religiöser Kleidung für christliche oder jüdische
Lehrkräfte z.B. im Nonnenhabit oder mit Kippa verstehen (siehe auch Hen-
for the protection of public order, health or morals, or for the protection of the
rights and freedoms of others«.
Der Stoff, aus dem Konflikte sind
Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Title
- Der Stoff, aus dem Konflikte sind
- Subtitle
- Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Authors
- Sabine Berghahn
- Petra Rostock
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-89942-959-6
- Size
- 14.7 x 22.4 cm
- Pages
- 526
- Keywords
- Religion, Migration, Geschlechterverhältnisse, Demokratie, Rechtssystem, Politik, Recht, Islam, Islamwissenschaft, Gender Studies, Soziologie, Democracy, Politics, Law, Islamic Studies, Sociology
- Category
- Recht und Politik