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UTE SACKSOFSKY
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tritt von Klassenfahrten zuzulassen;41 denn dadurch werden ihnen reale Betä-
tigungsmöglichkeiten genommen.
Das Erziehungsrecht der Eltern bringt keine neuen Gesichtspunkte ins
Spiel, denn im Bereich der Schule ist es durch den staatlichen Erziehungsauf-
trag beschränkt.42 Denkbar ist freilich, dass es durch muslimische Lehrerinnen
mit Kopftuch zu Konflikten mit Eltern kommen könnte, so dass der Schulfrie-
den gestört würde. Solches ist aber von den bereits bisher mit Kopftuch unter-
richtenden Lehrerinnen nicht bekannt geworden (Mahrenholz 2004: 762). So
betont auch der Richter Lange in seinem Sondervotum, dass es keineswegs zu
Streitigkeiten in der Schule zu kommen pflegt, nur weil eine Lehrerin ein
islamisches Kopftuch trägt.43 Darüber hinaus ist fraglich, ob eine befürchtete
Störung des Schulfriedens überhaupt einen hinreichenden Grund für die
Ablehnung einer Kopftuchträgerin darstellen könnte. Sicher ist es eine staat-
liche Aufgabe, für Schulfrieden zu sorgen, doch kann allein die Befürchtung,
dass eine vom Staat als geeignet angesehene Lehrerin von Eltern abgelehnt
würde, einen Eingriff in die Grundrechte der Lehrerin nicht rechtfertigen
(Walter/Ungern-Sternberg 2008: 491; Ekardt 2005: 256; siehe auch Ekardt
und Ladwig in diesem Band). Ebenso wenig wie befürchtete Elternproteste
die Einstellung eines Lehrers aufgrund seiner Hautfarbe verhindern könnten,
kann dies bei religiösen Merkmalen der Fall sein.
Tragen die zur Stützung eines Kopftuchverbots vorgebrachten Gründe
ohnehin nicht sehr weit, so treten sie erst recht zurück, wenn sie gegen die
Intensität des Eingriffs abgewogen werden. Der Eingriff in die Glaubensfrei-
heit, den ein Verbot, sich gemäß religiöser Überzeugungen zu kleiden, mit
sich bringt, ist erheblich (Wiese 2007: 297 f; siehe auch Mahrenholz in die-
sem Band). Das Ausmaß des Eingriffs wird vielfach unterschätzt, weil überse-
hen wird, welchen erheblichen Verpflichtungscharakter das Befolgen religiö-
ser Vorschriften für den oder die Gläubige trägt. Anders als bei politischer
Meinungsäußerung, die im Unterricht unterlassen werden kann, ohne dass die
Lehrkraft daraus in Gewissensnöte kommt, verpflichten religiöse Gebote die
Gläubigen grundsätzlich unbedingt. Es ist gerade Inhalt der Glaubensfreiheit
als einem fundamentalen Grundrecht, dass den Gläubigen Konflikte zwischen
ihren religiösen und rechtlichen Pflichten so weit als möglich erspart werden
sollen (Sacksofsky 2007: 114).
41 Einen Anspruch auf Befreiung verneinend: VG Aachen v. 16.01.2002, NJW
2002, 3191. Das OVG Münster gewährte demgegenüber einen Anspruch auf
Befreiung unter Hinweis darauf, dass die Furcht einer muslimischen Schülerin,
sich auf Klassenfahrten nicht so verhalten zu können, wie es ihr Glaube von ihr
verlangt, Krankheitswert besitzen könne: OVG Münster v. 17.01.2002, NJW
2003, 1754.
42 BVerfGE 108, 282, 301.
43 NVwZ 2008, 199, 209.
Der Stoff, aus dem Konflikte sind
Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Title
- Der Stoff, aus dem Konflikte sind
- Subtitle
- Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Authors
- Sabine Berghahn
- Petra Rostock
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-89942-959-6
- Size
- 14.7 x 22.4 cm
- Pages
- 526
- Keywords
- Religion, Migration, Geschlechterverhältnisse, Demokratie, Rechtssystem, Politik, Recht, Islam, Islamwissenschaft, Gender Studies, Soziologie, Democracy, Politics, Law, Islamic Studies, Sociology
- Category
- Recht und Politik