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Altkirchenslawisch
nisch) mussten daher als »Moravismen« interpretiert
werden, obwohl es in Mähren keinerlei Romanität gab.
Die glagolitischen → Kiewer Blätter, literaturüblich
»das älteste slawische Sprachdenkmal«, sind vermutlich
ein ursprünglich mit lateinischen Buchstaben geschrie-
benes karantanerslowenisches Messordinarium, das von
einem Schüler Methods (→ Methodvita) in glagoli-
tischer Schrift abgeschrieben wurde. Das Wort visond
»Kommunion« z. B. gibt es nur im Ladinischen und im
Bairischen noch heute (weissaten gehen »ein neugebo-
renes, getauftes Kind besuchen und Geschenke [das
Weisat] mitbringen« < lat. visitare/visare). Das konnte
weder Method noch ein »mährischer« Slawe wissen
oder kennen.
Kopitar und Miklosich gingen davon aus, dass
das Entstehungsgebiet des A. Pannonien sei. Mik-
losich benannte (in Radices linguae slovenicae vete-
ris dialecti 1845, Die Wurzeln des Altslovenischen 1857,
Lexicon linguae slovenicae veteris dialecti 1850 u. a.) die
heute A. genannte Sprache als → »Altslovenisch« (slow.
staroslovenski), ausgehend von der historischen Eigen-
bezeichnung slovenski. Und »um eine Verwechslung
zu vermeiden«, nannte er das (moderne) Slowenisch
»Neuslovenisch«. Aufgrund des heutigen Wissensstan-
des ist festzustellen, dass das erste Zentrum einer sla-
wischen Kirchensprache → Karantanien und die östli-
chen Grenzgebiete (confines) unter Salzburger Führung
(→ Kocelj) stand. Das war das Slowenisch des ka-
rantanischen Alpenraums (→ Karantanerslowenisch),
dessen wichtigstes Schriftdenkmal die →
Freisinger
Denkmäler sind. Diese literarische Sprachform lebte in
Karantanien (Kärnten/Koroška, Steiermark/Štajerska,
→
Slovenia submersa) weiter, bis mit den Bibelüberset-
zungen (→ Bibel) von → Trubar und →
Dalmatin
die Grundlage für die neuere slowenische Schriftspra-
che geschaffen wurde. Diese Sprache (→ Karanta-
nerslowenisch) ist in die Übersetzungstexte von Ky-
rill/Method († 885), die in Pannonien angefertigt
wurden, eingeflossen (→
Terminologie, christliche).
Das blieb jedoch von der Slawistik lange unbemerkt.
Dem Method-Team in Moosburg/Zalavár gehörten
auch Leute an, die mit den Texten und der Überset-
zungspraxis in Karantanien (→ Maria Saal/Gospa
Sveta) vertraut waren, wie sein gewünschter »in den
lateinischen Schriften gut bewanderter« (→ Method-
vita XVII) Nachfolger Gorazd. Der primäre Raum
der ältesten slawischen Schriftsprache war Karantanien
und hernach das pannonische Gebiet um Moosburg/
Zalavár. Die christliche → Terminologie (→ Altladi- nisch) des altslowenischen Raums ist durch Method
und seine Mitarbeiter zu den Bulgaren und Russen ge-
langt. Die Sprachform der Method-Bibel ist altbulga-
risch und bleibt in dieser Form bis zum Entstehen der
neuzeitlichen Schriftsprachen die Literatursprache der
orthodoxen Slawen.
Man kann einen mit lateinischen Buchstaben ge-
schriebenen eindeutigen Originaltext wie die Freisinger
Denkmäler als → alpenslawisch bzw. Slowenisch des
Alpenraums (im Hinblick auf eine geografische Zuord-
nung), als → karantanisch (im Hinblick auf das Staats-
wesen Karantanien), als →
altslowenisch oder präziser
→ karantanerslowenisch (im Hinblick auf die sloweni-
sche Sprachgeschichte) und als altkirchenslawisch (im
Hinblick auf die Funktion, nicht allerdings im chrono-
logisch damnativen Sinn Jagićs) benennen, auch wenn
die älteste erhaltene Kopie erst aus dem 10. Jh. stammt.
Wegen der grundlegenden Voraussetzungen für das
Entstehen der ältesten slawischen Schriftsprache in la-
teinischen Buchstaben im karantanisch-pannonischen
Raum und der Tätigkeit der Salzburger (→ Modestus
in Maria Saal/Gospa Sveta) und der karantanischen
Priester in den 100 Jahren vor den »Slawenaposteln«,
ganz abgesehen von der dominant ladinisch gepräg-
ten christlichen Terminologie, die in alle slawischen
Sprachen übernommen wurde, wäre das Glottonym
altbulgarisch für das Weiterleben der Sprache der Me-
thod-Bibel und ihres Textes in der südöstlichen und
östlichen Slavia den irreführenden Glottonymen alt-
kirchenslawisch und altslawisch vorzuziehen. Die älteste
slawische Schriftsprache vorher (und in Karantanien
auch nachher) aber ist erwiesenermaßen nicht irgend-
ein Slawisch oder Altkirchenslawisch, sondern → Karan-
tanerslowenisch. Die Benennungen mit dem Element
slawisch sind im 19. Jh. im Geist eines romantisch dif-
fusen Panslawismus entstanden und im 20. Jh. oft aus
nationaler Eifersüchtelei bewusst und unbewusst zur
ideologischen »Entslowenisierung« (→ »Entethnisie-
rung«) verwendet worden.
Lit.: V. Jagić : Entstehungsgeschichte der kirchenslavischen Sprache. Wien
1900 ; W. Vondrák : Altkirchenslavische Grammatik. Berlin ²1912 ; A.
Leskien : Handbuch der altbulgarischen Sprache. Heidelberg 1919 ; N.
Trubetzkoy († 1938) : Altkirchenslawische Grammatik. Wien 1954 (hg.
durch R. Jagoditsch) ; I. Boba : Moravia’s History Reconsidered. The
Hague 1971 ; J. Hamm : Staroslavenska čitanka. Zagreb 1971 und
Staroslavenska gramatika. Zagreb 1974 ; F. V. Mareš : An Anthology
of Church Slavonic Texts of Western (Czech) Origin. München 1979 ;
I. Boba : Wo war die »Megale Moravia« ? In : Die Slawischen Sprachen
8 (1985) 5–19 ; O. Kronsteiner : Virgil als geistiger Vater der Slawen-
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Volume 1: A – I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1942
- Volume
- 1: A – I
- Authors
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 542
- Categories
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Geleitwort von Ana Blatnik, Präsidentin des Bundesrates (Juli – Dezember 2014) 7
- Spremna besede Ane Blatnik, predsednice državnega sveta (julij – december 2014) 8
- Geleitwort von Johannes Koder 9
- Vorwort der Herausgeberin und des Herausgebers 11
- Einleitung – slowenische Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška 15
- Alphabetische Liste der AutorenInnen/BeiträgerInnen im vorliegenden Band 38
- Verzeichnis der Siglen 40
- Verzeichnis der Abkürzungen und Benutzungshinweise 46
- Editoriale Hinweise 51
- Lemmata Band 1 A – I 55