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»Anschluss« und die Kärntner Slowenen
verwendet. Verwendet wurden nur mehr die Namen der
sieben Länder, die jeweils die Bezeichnung Reichsgau
erhielten und unmittelbar Hitler und den Zentralbe-
hörden in Berlin unterstellt wurden. Kärnten/Koroška
wurde auf diese Weise mit dem angeschlossenen Ostti-
rol zum Gau Kärnten. Am 12. und 13. März wurde auch
die erste nationalsozialistische Kärntner Landesregie-
rung unter dem Vorsitz von Vladimir von Pawlowski
gebildet, der auch der Generalsekretär des KHB, Alois
Maier-Kaibitsch, angehörte. Doch eine bedeuten-
dere Rolle als der Vorsitzende der Landesregierung
spielte der Gauleiter der NSDAP, der spezielle nati-
onal-politische Aufgaben, vor allem in den besetzten
Gebieten der Gorenjska (Oberkrain), der → Mežiška
dolina (des Mießtales) mit dem Gebiet von Dravograd
(Unterdrauburg) und Jezersko (Seetal) (»Besetzte Ge-
biete Kärntens und der Krain«), die Kärnten/Koroška
angegliedert waren, zu erfüllen hatte und somit unmit-
telbar Hitler unterstellt war. Der erste Gauleiter von
Kärnten war der Kärntner Hubert Klausner. Nach
seinem Tod übernahm diese Aufgabe Friedrich Rai-
ner, der sie bis zum 7. Mai 1945 innehatte, als er sein
Amt den Vertretern der neu gebildeten provisorischen
Kärntner Landesregierung, die sich aus den Vertretern
der ehemaligen österreichischen Parteien zusammen-
setzte, übergab. Die ehemaligen politischen Bezirke
wurden in »Landkreise« umbenannt. Im zweisprachi-
gen südlichen Teil Kärntens waren dies → Völker-
markt/Velikovec, →
Klagenfurt/Celovec, → Villach/
Beljak und → Hermagor/Šmohor. Klagenfurt/Celovec
war mit seinen umliegenden Gemeinden St. Martin/
Šmartin, St. Peter/Šentpeter, St. Ruprecht/Šentrupert
und Annabichl/Trna vas ein eigener Stadtkreis. Mit
dem Anschluss setzte sich sowohl in Österreich und
ganz besonders in Kärnten/Koroška das nationalso-
zialistische System, dem schon Jahre vorher die hei-
mischen Nationalsozialisten den Weg geebnet hatten,
durch. Schon bald nach dem Anschluss verhafteten
die Nationalsozialisten auf dem Territorium des ehe-
maligen Österreich ca. 20.000 Personen, von denen sie
annahmen, dass sie in Opposition zum Regime treten
könnten, und lösten alle politischen und öffentlichen
Vereine auf. Oppositionelle Zeitungen wurden einge-
stellt. Die Arbeitervereine wurden in die Deutsche Ar-
beitsfront (DAF) eingegliedert. Alle öffentlichen Stel-
len wurden von Nazigegnern gesäubert. Die NSDAP
übernahm die volle Kontrolle über das öffentliche Le-
ben. Am 20. Juni 1938 führte das NS-Regime auf dem
Territorium des ehemaligen Österreich die deutschen Bestimmungen über Hoch- und Landesverrat ein, po-
litische Auflehnung wurde zu einem strafbaren Verge-
hen erklärt. Mit Ausbruch des Krieges erweiterte die
Regierung den Rahmen dieser Gesetze und erließ neue
Verordnungen, die neue politische Vergehen definierten
und mit schweren Strafen belegten. Diese Vergehen
reichten vom Abhören ausländischer Rundfunksender
über den verbotenen Umgang mit Kriegsgefangenen
bis zur Wehrkraftzersetzung. Neben den regulären
Landesgerichten wurden spezielle politische Sonder-
gerichte eingeführt. Die schwersten Fälle der illegalen
Betätigung behandelte der sogenannte »Volksgerichts-
hof« mit dem Sitz in Berlin, der seine Senate in ver-
schiedene Gebiete des Reiches, auch nach Wien, Graz
und Klagenfurt schickte. Im November 1939 wurden
bei den Landesgerichten eigene Gerichte ins Leben
gerufen, die sich mit »kleineren« politischen Angele-
genheiten zu befassen hatten.
Aufgrund dieser festen organisatorischen und ideo-
logischen Verankerung der Nazis im Land erklärt sich
auch der Umstand, dass Kärnten/Koroška den »An-
schluss« als erstes Bundesland organisatorisch und
rechtlich durchgeführt hatte. Vom allgemeinen gesell-
schaftlichen Ambiente und den wichtigsten antislowe-
nischen Akteuren änderte sich somit für die Slowenen
im Land mit dem »Anschluss« wenig.
Slowenen und »Anschluss«. Für die slowenische
Volksgruppe war so von allem Anfang an die Bedro-
hung klar. Um sich nicht weiterem Terror auszusetzen,
rieten die slowenischen Organisationen bei der Volks-
abstimmung am 10. April 1938 für den »Anschluss« zu
stimmen, was in der Folge in der Tat dazu führte, dass
unmittelbare Strafaktionen aus diesem Grund nicht
stattfanden. Zudem wurden auf Geheiß von Berlin vor
den Tagen der Abstimmung einige für die Slowenen
scheinbar beruhigende Aussagen getroffen, so auch von
Maier-Kaibitsch.
Doch schon am ersten Tag der Besetzung Öster-
reichs am 12. März 1938 verhafteten die Nationalso-
zialisten einige Minderheitenvertreter. Der ehema-
lige slowenische Landtagsabgeordnete Pfarrer Vinko
→ Poljanec starb bald nach seiner Freilassung an
den Folgen des Gefängnisaufenthaltes. Die neuen NS-
Machthaber gliederten den Kärntner Heimatbund
(→ Deutschnationale Vereine) sofort in ihren Appa-
rat ein und begannen mit den Vorbereitungen für eine
radikale Lösung der Kärntner Frage zum Vorteil des
Deutschtums durch die Vertreibung und die schnelle
→ Germanisierung der slowenischen → Volksgruppe.
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Volume 1: A – I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1942
- Volume
- 1: A – I
- Authors
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 542
- Categories
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Geleitwort von Ana Blatnik, Präsidentin des Bundesrates (Juli – Dezember 2014) 7
- Spremna besede Ane Blatnik, predsednice državnega sveta (julij – december 2014) 8
- Geleitwort von Johannes Koder 9
- Vorwort der Herausgeberin und des Herausgebers 11
- Einleitung – slowenische Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška 15
- Alphabetische Liste der AutorenInnen/BeiträgerInnen im vorliegenden Band 38
- Verzeichnis der Siglen 40
- Verzeichnis der Abkürzungen und Benutzungshinweise 46
- Editoriale Hinweise 51
- Lemmata Band 1 A – I 55