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»Entethnisierung«
Peter Gstettner, Erinnern an
das Vergessen, Radio Agora lungen keine Dauerausstellung und auch keine syste-
mische Integration slowenischer kulturgeschichtlicher
Aspekte in einer an sich dazu berufenen zentralen Lan-
deseinrichtung dar.)
Wie sehr sich der kärntnerslowenische wissenschaft-
liche Diskurs – wenn man ihn so bezeichnen kann –
auch von manchen Erscheinungen in Slowenien unter-
scheidet (die aber auch nicht zum Mainstream zählen),
zeigt ein Beitrag von Kosi (2010) auf. Dieser verneint
kategorisch die »tausendjährige« (wie er es nennt) his-
torische Kontinuität der Slowenen, da die moderne
Nation erst ab der Mitte des 19. Jh.s entstanden sei,
weshalb vom Gebrauch des Terminus des slowenischen
ethnischen Territoriums als Hilfsmittel für die geogra-
fische Einschränkung der historiografischen Forschung
Abstand zu nehmen sei. Damit wäre die Grundlage ge-
schaffen, gänzlich unbelastet und unvoreingenommen
Archivmaterialien zu lesen und man wäre davon befreit,
überall national-aufklärerische Intentionen in der ers-
ten Hälfte des 19. Jh.s suchen zu müssen. Begründet
wird diese Verneinung der Kontinuität etwa damit, dass
sich Trubar selbst immer nur als Krainer bezeichnet
habe, oder mit der Kritik der Soziobiologie. In seiner
suggestiven Form und Botschaft bleibt dieser Ansatz
natürlich die Antwort schuldig, ob und inwieweit ältere
einschlägige tradierte sprachliche, kulturelle, politische,
rechtliche, mythologische u. a. Erscheinungsformen vor
der Mitte des 19. Jh.s überhaupt von einer »sloweni-
schen« Historiografie behandelt werden dürften und
wieweit diese die Grundlage für spätere Erscheinungs-
formen bildeten, da sich diese notwendigerweise auf
einem – in historischen Phasen durchaus unterschied-
lichen – geografischen Gebiet manifestierten. Damit
wird gleichsam die gesamte Genese moderner sprachli-
cher, kultureller usw. Erscheinungsformen bei den Slo-
wenen, aber auch in Kärnten/Koroška und Österreich
allgemein der wissenschaftlichen Forschung entzogen,
was neben der Tatsache, dass die Slowenen als solche in
ihrer historischen Genese, ihren durchaus vielfältigen
parallelen territorialen → Identitäten, infrage gestellt
und als Konstrukt des 19. Jh.s dargestellt werden, wis-
senschaftlich und epistemologisch nicht zielführend ist.
Insgesamt ist darauf hinzuweisen, dass etwa 1999
Fahlbusch auf die besondere Verantwortung der
Wissenschaft und der historischen Mittäterschaft von
Wissenschaftern im NS-Verbrecherregime hinweist,
was von weiteren Autoren wie Svatek (2010) oder
Stoy (2007) jeweils in Aspekten oder global bestätigt
wird. So beteiligte sich der Slawist Viktor Paulsen (1913–1987) – und Autor einer unveröffentlichten di-
alektologischen Dissertation bei Prof. A. → Trubetz-
koy zur Lautlehre des slovenischen Gailtaler dialektes in
Kärnten (1935) – bereits vor dem Krieg als Angehöri-
ger der Wiener Südostdeutschen Forschungsgemeinschaft
in der Förderung des Deutschtums in Slawonien, aber
auch im Gebiet des heutigen Sloweniens. Während des
Zweiten Weltkrieges war er in einschlägiger Funktion
am Raub von Archivalien in Jugoslawien und in der
Sowjetunion beteiligt (er brachte es bis zum SS-Un-
tersturmbannführer), wobei diese Archivalien teilweise
dazu benutzt wurden, um, wie Svatek (2010 : 133)
es mit einem historischen Begriff beschreibt, »ethno-
graphische Flurbereinigung« durchzuführen. Zur his-
torischen Verantwortung der Germanistik insgesamt
äußert sich Krahberger unter Bezugnahme auf die
Lebensläufe so mancher ihrer Vertreter in ähnlicher
Form.
In Übrigen stellt Trummer in Bezug auf das sla-
wische/slowenische Erbe in der österreichischen Stei-
ermark ebenso eine, wie er es nennt, Verdrängung aus
dem Bewusstsein und das Vergessen in der Öffentlich-
keit, in der Politik, in der Schule und im fachwissen-
schaftlichen Leben fest, was durchaus Analogien zu
Kärnten/Koroška aufweist.
Gesellschaftspolitische Folge ist u. a. eine fortschrei-
tende eingeschränkte Wahrnehmungsfähigkeit (kogni-
tive Dissonanz) gegenüber dem Slowenischen im Land
und eine Minderung der gesellschaftlichen Toleranz
gegenüber den Slowenen bzw. die Negation der Grund-
und Menschenrechte (→ Schulwesen, → Amtssprache,
→ Ortsnamen) sowie ein tief liegendes Unvermögen,
diese als demokratischen Mindeststandard zu akzeptie-
ren. Eine solchermaßen eingeschränkte wissenschaftli-
che Tätigkeit konnte und kann allerdings auch keinen
Beitrag zur allgemeingesellschaftlichen Zukunftsfähig-
keit des Landes leisten.
Nicht unberücksichtigt gelassen darf in diesem Kon-
text die durchaus nachvollziehbare moderne Kritik
an einer (sachlich nicht nachvollziehbaren) Ethnisie-
rung und ›Kulturalisierung‹ der Geschichtsschreibung.
Denn das vermeintliche Gegenstück einer übermäßi-
gen Ethnisierung, der regionalhistorische Ansatz in der
Geschichtsschreibung, kann, unter dem Vorwand der
Überwindung nationaler Geschichtsschreibung, durch-
aus seinerseits als ideologisches Mittel der Exklusion
und des Ethnozentrismus dienen. Die nationalideolo-
gisch bewusste oder aufgrund von kognitiven Disso-
nanzen unbewusst transportierte E. der slowenischen
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Volume 1: A – I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1942
- Volume
- 1: A – I
- Authors
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 542
- Categories
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Geleitwort von Ana Blatnik, Präsidentin des Bundesrates (Juli – Dezember 2014) 7
- Spremna besede Ane Blatnik, predsednice državnega sveta (julij – december 2014) 8
- Geleitwort von Johannes Koder 9
- Vorwort der Herausgeberin und des Herausgebers 11
- Einleitung – slowenische Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška 15
- Alphabetische Liste der AutorenInnen/BeiträgerInnen im vorliegenden Band 38
- Verzeichnis der Siglen 40
- Verzeichnis der Abkürzungen und Benutzungshinweise 46
- Editoriale Hinweise 51
- Lemmata Band 1 A – I 55