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Frauen im ländlichen Raum in Südkärnten/Južna Koroška
sitzer landwirtschaftlicher Güter weniger als 5
ha Land
und 21 % mehr als 20 ha.
Die erhaltenen → Quellen aus dieser Zeit bezeugen
die wirtschaftliche Rolle der Frauen und gleichzeitig
ihre gesellschaftliche Unterordnung. Eine Darstellung
der Rolle der Frau im agrarisch geprägten Zeitalter auf-
grund von Einkommensnachweisen außerhalb des fami-
liären Rahmens würde die Auffassung ihrer Minderwer-
tigkeit ihrer Arbeit reflektieren, da sie bis heute nicht in
Geldwert ausgedrückt wird. Die Geschlechterteilung bei
der Arbeit und die Diskrepanz zwischen der tatsächli-
chen Bedeutung der Frauenarbeit und ihrer gesellschaft-
lichen Wertung erfordern eine umfassende Sichtweise,
bei der alle von Frauen verrichteten Arbeiten berück-
sichtigt und bewertet werden. Die neuzeitige Teilung
in bezahlte und nicht bezahlte Arbeit hat nämlich das
Bild der Frauenarbeit geprägt und den Marktpreis des-
sen beträchtlich verfälscht, was bezahlt wird und was als
Beitrag zur Haushalts- und Selbstversorgung angesehen
wird. Die Frauen verrichteten nämlich immer jede Ar-
beit, unabhängig von deren geschlechtlicher Zuordnung,
während die Männer keine Frauenarbeit übernahmen.
Trotz der kulturellen Unterschiede ist das Modell von
Margaret Mead universell, wonach alle alles tun kön-
nen, solange es nicht als Frauenarbeit angesehen wird.
Mit der Industrialisierung wurden jene Tätigkeiten, die
mit der Selbstversorgung für das Überleben der Fami-
lie verbunden waren und die keinen unmittelbaren Ver-
dienst generierten, zu Frauenarbeit. Jene Tätigkeiten, die
marktorientiert und gut bezahlt waren, wurden zu Män-
nerarbeit, obwohl in allen Gesellschaften die Frauen mit
ihren Überlebensstrategien die Lebenshaltungskosten
im weitesten Sinn deutlich verringerten.
Nach der Proletarisierung der männlichen Arbeits-
kraft wurden zwar die ersten Industriearbeiter bereits in
den beiden letzten Jahrzehnten des 19. Jh.s als Inwoh-
ner bzw. Untermieter in den Personenstandsbüchern
eingetragen (in den angeführten Orten bereits 1888),
doch können ihre Familien noch nicht als typische
Arbeiter- oder Handwerksfamilien betrachtet werden.
Sieder meint zwar, dass die ersten Arbeiter die Fa-
milie als wirtschaftliche Einheit durch die bezahlte
Beschäftigung ersetzten, dass aber ihre Frauen für das
Überleben Arbeiten verrichteten, die die Mutterschaft
und den Haushalt weit übertrafen, weshalb das Über-
leben der Familie wegen des agrarischen Hintergrunds
noch lange auf einer dualen Wirtschaft beruhte.
Da die bäuerliche Wirtschaft auf dem Grundbesitz
beruhte und gleichzeitig arbeitskräfteintensiv war, war die Erbschaft Voraussetzung für die Heirat und die ei-
gene Unabhängigkeit. In den untersuchten Orten bzw.
im unersuchten Gebiet Südkärntens galten die Unteil-
barkeit bzw. das Alleinerbrecht. In der Regel erbte der
älteste Sohn, der nach der Übernahme des Hofes sog.
Pflichtteile auszahlte. Frauen erbten nur, wenn kein
männlicher Nachfahre vorhanden oder wenn dieser
nicht geschäftsfähig war. Die Pflichtteilsempfänger, sog.
weichende Kinder, bildeten eine vielfältige Gruppe, die
sich von den Bauern durch ihre gesellschaftliche Lage
unterschied.
Der gesellschaftliche Status der zukünftigen Ehe-
leute zeigt die soziale Endogamie auf, doch wurde
die Grenze zwischen dem bäuerlichen Stand und den
Landarbeitern oft überwunden. Ein zeitweiliges Aus-
scheren aus dem solchermaßen privilegierten Bauern-
stand war vor allem vor der Hochzeit die Regel, da sich
zahlreiche Bauernsöhne und -töchter vor der Hofüber-
nahme oder Hochzeit ihren Lebensunterhalt anderswo
verdienten.
Auch die Wahl der Ehepartner kann nicht getrennt
von der bäuerlichen Wirtschaft gesehen werden. Der
unteilbare landwirtschaftliche Besitz verhinderte die
Gründung neuer, eigenständiger Existenzen und führte
zu einer großen Zahl von unverheirateten Personen.
Erst Mitte des 20. Jh.s ermöglichte erstmals in der eu-
ropäischen Geschichte ein regelmäßiges monatliches
Gehalt, sofern sie eine regelmäßige Arbeit hatten, allen
erwachsenen Staatsbürgern die Ehe und die Gründung
einer Familie.
Die ersten Hebammenkurse wurden z. B. in Kla-
genfurt/Celovec 1753 organisiert und der Unterricht
soll bis 1893 in slowenischer Sprache abgehalten
worden sein. Die allgemeine Landeskrankenanstalt
mit einer Geburtenstation wurde 1784 errichtet. In
den Geburtenstationen wurde bis zu den ersten Jahr-
zehnten des 20. Jh.s praktischer Unterricht der Heb-
ammen nur unverheirateten Müttern und Frauen
in Not erteilt, nicht aber verheirateten Frauen und
Witwen. Bis aber eine bäuerliche Frau aus St.
Johann
im Rosental/Šentjanž v Rožu erstmals die Gebur-
tenstation in Anspruch nehmen konnte, vergingen
149 Jahre. In Österreich wurden erstmals 1842 im
Strafgesetzbuch Strafen für Geburtshilfe von Per-
sonen ohne Ausbildung oder Genehmigung vor-
gesehen ; bis dahin halfen ungeprüfte Hebammen
Frauen bei der Geburt.
Kinder wurden in die häusliche Wirtschaft je nach
ihren Fähigkeiten eingebunden. Ihre Sozialisierung war
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Volume 1: A – I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1942
- Volume
- 1: A – I
- Authors
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 542
- Categories
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Geleitwort von Ana Blatnik, Präsidentin des Bundesrates (Juli – Dezember 2014) 7
- Spremna besede Ane Blatnik, predsednice državnega sveta (julij – december 2014) 8
- Geleitwort von Johannes Koder 9
- Vorwort der Herausgeberin und des Herausgebers 11
- Einleitung – slowenische Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška 15
- Alphabetische Liste der AutorenInnen/BeiträgerInnen im vorliegenden Band 38
- Verzeichnis der Siglen 40
- Verzeichnis der Abkürzungen und Benutzungshinweise 46
- Editoriale Hinweise 51
- Lemmata Band 1 A – I 55