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Jarnik, Urban
Urban Jarnik, Moosburg/
Možberk, Pfarrkirche
deutsch-slowenischer Zusammenarbeit in Kärnten/
Koroška. Die Basis stellte ein Landesbewusstsein dar,
das sich durch einen übernationalen frühromantischen
Kosmopolitismus auszeichnete und die slawische Ver-
gangenheit in das Konstrukt einer gemeinsamen Lan-
desgeschichte einbeziehen wollte. Mit dem Redakteur
Johann Gottfried Kumpf und dem zugewanderten
Steirer Johann Georg Fellinger verband ihn eine
innige Freundschaft, die sich auch in gegenseitigen
Übersetzungen niederschlug. In der Carinthia fand J.
die erste Publikationsmöglichkeit für seine Gedichte
(Na Slovence, Arfe, Damon Meliti, Zvezdišče/Zvezdje,
Kres, Danica, Jesen, Življenja iskre, Pustna). Im ersten
veröffentlichten Gedicht Na Slovence (Carinthia 1811,
Nr. 3) verknüpfte J. zwei Diskursstränge, die sowohl
für das geistige Klima in Kärnten/Koroška als auch für
J.s persönliche Entwicklung bestimmend waren : den
Diskurs der Toleranz und der gegenseitigen Förderung
der deutschen und der slowenischen Literatur einer-
seits mit dem Beginn des nationalen Diskurses, der
unter Vorwegnahme der Kollárschen slawischen
Wechselseitigkeit auf das Konstrukt einer berühmten
slawischen Vergangenheit als Identifikationsfolie ab-
zielte, andererseits. Den ersten Diskursstrang verfolgte
J. in seinen ethnografischen Studien zu den Gailtalern
in Kärnten/Koroška (1813 a, c, d), mit denen er ge-
gen die Stereotypen und Fehlurteile Balthasar Hac-
quets polemisierte, den zweiten durch seine Veröf-
fentlichung des Herderschen Slavenkapitels in der
Carinthia (1812) und mehrere Artikel zur Ethnografie,
Sprachgeschichte und Geschichte der Slowenen (1813
b, 1813 e, 1820).
Nach einer Phase der stürmischen Entwicklung zu
einer in ihrem Duktus bereits hochromantischen phi-
losophischen Lyrik – wie etwa in Zvezdišče, das in Fel-
lingers Übersetzung Sternenwelten von Franz Schu-
bert vertont wurde, und Življenja iskre [Lebensfunken]
(Carinthia 1813) – findet nach 1814 eine Verlagerung
von der poetisch inventiven auf eine ästhetisch rezep-
tive Ebene statt. Ein spätaufklärerisch-rationaler Zu-
gang ist charakteristisch für die Textauswahl im ersten
Jugendbuch der slowenischen Literaturgeschichte Zber
lepih ukov (1814), das auch Übersetzungen aus anderen
slawischen Sprachen enthielt. Durch sein Gebrauchs-
schrifttum, insbesondere durch die Übersetzung der
Geigerschen Obstbaumzucht (1814) und einiger Gebet-
bücher, sollten neue Leserschichten gewonnen, durch
die Neuauflage der Grammatik von Oswald → Guts-
mann (1829) ein funktionaler Übergang von einer dialektalen und regionalen Sprachbasis zu einer leicht
regional gefärbten slowenischen Schriftsprache gefun-
den werden.
Die Diskursstränge, die J. in der ersten Zeit der Ca-
rinthia noch vereinigen konnte, begannen mit seiner
Interpretation der Inschrift auf dem Herzogstuhl (1818
a) und der Zukunftsvision der Vier Hauptnationen Eu-
ropas (1818 b) auseinanderzubrechen. Der endgültige
Bruch wurde durch seine Andeutungen zu Kärntens Ger-
manisierung (1826), mit denen er die historische und
soziale Erklärung der Assimilationsprozesse lieferte,
unvermeidlich. J. richtete nunmehr seine Netzwerke
in erster Linie auf den slowenischen und slawischen
Raum aus. Im slawischen Raum waren es Pavel Josef
→ Šafařík, Izmail Izmailović → Sreznevskij und
Stanko → Vraz, im slowenischen Raum vor allem
Anton M. → Slomšek und Matija → Majar Ziljski,
episodenhaft auch France → Prešeren.
1824 verfasste J. seinen letzten vollständigen lite-
rarischen Text, das historische Epos Ostrovica nepre-
magana [Unbesiegtes Hochosterwitz] und schickte es
über Slomšeks Vermittlung an den Kreis um die ge-
plante Zeitschrift Slavinja. Dass er sich dabei aus Be-
geisterung für Kopitars Lieblingsidee, der Schaffung
eines nach phonologischen Prinzipien aufgebauten
Alphabets, im Abc-Streit auf die falsche Seite, näm-
lich jene Franz → Metelkos schlug (→ Schrift), in
dessen Nachlass das Epos bis Ende des 20. Jh.s un-
entdeckt blieb, ließ jedoch diesen Text, der dazu an-
getan war, eine Lücke im obligatorischen nationalen
Gattungssystem zu schließen, zu einer literarischen
Episode werden.
J.s sprachwissenschaftliches Interesse ist bereits in
seiner Korrespondenz mit Valentin → Vodnik, Pri-
mitz und Kopitar manifest. Unter Kopitars An-
leitung erwarb er solide Kenntnisse der slawischen
Philologie, allen voran der historisch-vergleichenden
Methode Josef →
Dobrovskýs. In seiner Kleinen
Sammlung (1822) fügte er seine sprachhistorische Be-
funde in den nationalen Emanzipationsdiskurs ein.
Sein nach Dobrovskýs Vorbild gestaltetes Etymolo-
gikon (1832) wurde zu einer wichtigen Quelle lexikali-
scher Innovationen in der slowenischen Schriftsprache.
Die Normierungsvorschläge zur Morphologie, die er in
seinem »Dopis iz Koruške« (1837) für eine »illyrische«
Schriftsprache unterbreitete, fanden im Normierungs-
prozess der slowenischen Schriftsprache in den sog.
»neuen Formen« ihren Niederschlag. Mit seinem Obraz
slovenskoga narẻčja u Koruškoj (1842) lieferte J. schließ-
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Volume 2 : J – Pl
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1942
- Volume
- 2 : J – Pl
- Authors
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 502
- Categories
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur