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Jugoslawien
scher Soldaten und erzwang gut eine Woche später die
Kapitulation. Der König und der Großteil der Minister
flohen nach London, wo eine Exilregierung eingerich-
tet wurde, während die Achsenmächte den Staat gemäß
den von Hitler gestellten Bedingungen zerstückelten.
Die Drau-Banschaft (Dravska banovina), die als slo-
wenische Banschaft innerhalb J. konzipiert worden war
(vgl. Anton → Korošec), wurde zwischen Deutsch-
land, Italien, Ungarn und zu einem kleinen Teil dem
NDH-Kroatien aufgeteilt, was bedeutete, dass die Slo-
wenen als Nation zum Tode verurteilt waren. Was die
Kroaten und Serben betraf, waren die Sieger gnädiger :
Kroatien erkannte man den Status eines unabhängigen
Vasallenstaates zu (Nezavisna Država Hrvatska, NDH),
der den Ustaši als Kriegsbeute überlassen wurde. Den
Serben hatte man zwar stark zugesetzt, schließlich wur-
den ihnen sämtliche Gebietsgewinne aus der Zeit der
Balkankriege (Vojvodina, Makedonien, Kosovo) und
des Ersten Weltkrieges (Montenegro) wieder genom-
men, es wurde ihnen jedoch der Status eines Protek-
torats unter der Führung des Kollaborateurs General
Milan Nedić zugestanden. Dieser Situation entspran-
gen zwei Widerstandsbewegungen, die vollkommen
unterschiedliche ideologische Vorstellungen und Ziele
hatten. Draža Mihailović, Oberst der königlichen
Armee, kam aus der Tradition der Četnik-Freischärler,
die den Türken über Jahrhunderte hinweg Widerstand
geleistet hatten. Demnach symbolisierte er den serbi-
schen Nationalismus, der eine Widererrichtung des
Königreichs J. anstrebte. Josip Broz Tito, der Gene-
ralsekretär der Kommunistischen Partei J.s (KPJ), sah
den Unabhängigkeitskampf v. a. aus der Perspektive
der proletarischen Solidarität mit der Sowjetunion und
rechnete mit ihrem revolutionären Ausgang. Kriege-
rische Auseinandersetzungen zwischen den zwei Wi-
derstandsbewegungen waren unausweichlich, ebenso
wie die Tatsache, dass die Četniki im Kampf gegen die
Partisanen rasch begonnen hatten, zunächst mit den
italienischen, dann mit den deutschen Besatzern zu
kollaborieren. Auch andere konservative Kräfte organi-
sierten sich gegen die Partisanen, von der slowenischen
Heimwehr (slow. domobranci/Domobranzen ; slow. Slo-
vensko domobranstvo) bis zu den Ustaši, auch Teile der
bosnischen Muslime, die albanischen Balisten und die
philobulgarischen Makedonen, die allesamt Schutz bei
den feindlichen Truppen suchten. Beim Sieg der Par-
tisanen im Mai 1945 wollten viele der Kollaborateure
in Italien bzw. Österreich Zuflucht finden. Diejenigen
aber, die nach Kärnten/Koroška geflohen waren, wur- den von den Briten in ihre Heimat deportiert, wo blu-
tige Rache auf sie wartete. Die Tragödien, wie allge-
mein die Repression der Nachkriegszeit, hinterließen
im historischen Gedächtnis der jugoslawischen Völker
ihre nachhaltigen Spuren.
Von Anfang an hatte J. zwei Gesichter : Die Revo-
lution brachte einerseits die nationale Pluralität des
Staates mit sich (der in sechs Republiken und zwei au-
tonome Gebiete aufgeteilt war), vernichtete die patri-
archalische Gesellschaft, trennte die Kirche vom Staat,
emanzipierte die Frauen und sorgte für einen Auf-
schwung in der Industrie. Andererseits führte sie eine
Diktatur der KP ein, die sich in ihren Führungsmetho-
den an der Sowjetunion orientierte. Erst nach dem 28.
Juni 1948 änderten sich die Verhältnisse allmählich, als
Stalin, dem Tito in der Innen-, noch eher allerdings
in der Außenpolitik zu unabhängig war, den Entschluss
fasste, die KPJ aus dem Kominform (Kommunistisches
Informationsbüro, Offiziell : Informationsbüro der
Kommunistischen und Arbeiterparteien) auszuschlie-
ßen, in der Überzeugung, Tito zu vernichten und ihn
durch einen beugsameren Menschen zu ersetzen. Da
ihm dies jedoch nicht gelang, kam es zu einem schick-
salhaften Bruch, der die Führungsschicht der KPJ dazu
motivierte, neue Wege in der Entwicklung zum Sozia-
lismus einzuschlagen.
Innenpolitisch hatte dies zur Folge, dass die Partei
die europäischen Wurzeln des Marxismus entdeckte
und in den Unternehmen die Selbstverwaltung ein-
führen wollte, die eine Weiterentwicklung der Demo-
kratie sein sollte. Nach dem Ableben Stalins wählte
J. in der Außenpolitik einen noch nicht zugeordneten
politischen Kurs zwischen Ost und West und suchte
v. a. in den ehemaligen Kolonialländern der Dritten
Welt nach Verbündeten. Damit war J. ziemlich erfolg-
reich, viel erfolgreicher als mit den Beziehungen zu den
Nachbarländern, besonders zu Italien und Österreich,
mit denen es direkt nach dem Krieg schwere diploma-
tische Konflikte um die neue Fixierung der Grenzen
hatte. Was Italien anbelangt, war es diesbezüglich re-
lativ erfolgreich. Letztlich besserte der am 10. Februar
1974 unterzeichnete Pariser Friedensvertrag die Ra-
pallo-Grenzlinie aus dem Jahr 1920 entscheidend nach.
Schwieriger erwies es sich bei Österreich, das seine
Grenzen aus der Vorkriegszeit bewahrt hatte, obgleich
sich das Land mit dem Staatsvertrag von 1955, mit wel-
chen es die volle Souveränität wiedererlangte, sowohl
zur immerwährenden Neutralität als auch zum Schutze
der slowenischen und kroatischen Minderheit ver-
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Volume 2 : J – Pl
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1942
- Volume
- 2 : J – Pl
- Authors
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 502
- Categories
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur