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Minderheit/Volksgruppe
Das vom Rat der Kärnt-
ner Slowenen/Narodni
svet koroških Slovencev
promovierte Wappen der
Kärntner Slowenen mit dem
historischen etatistischen
Rechtsdenkmal, dem Fürs-
tenstein/knežji kamen
(Archiv für vaterländische Geschichte und Topographie 78). Kla-
genfurt 1997 ; H.-D. Kahl : Der Millstätter Domitian. Abklopfen einer
problematischen Klosterüberlieferung zur Missionierung der Alpenslawen
Oberkärntens (Vorträge und Forschungen, Sonderband 46). Stuttgart
1999 ; W. Deuer : Millstatt. In : Germania Benedictina III/2 (2001)
759–822 (Quellen- und Literaturangaben 802–816 ; Bibliotheksge-
schichte 788–793 ; Hinweise auf Archivalien 816–818).
Harald Krahwinkler
Minderheit/Volksgruppe. Minderheit ist der klei-
nere Teil eines Bevölkerungsganzen einer staatlichen
territorialen Einheit, der ethnisch, kulturell, sprach-
lich, national oder sozial differenziert werden kann bzw.
der eine eigene sprachliche, kulturelle oder territoriale
→ Identität aufweist und als autochthon angesehen
wird (im Unterschied zu allochthonen Minderheiten
oder Migrantengruppen bzw. neuen Minderheiten als
Resultat der vornehmlich wirtschaftsbedingten, aber
auch politisch, sozial, religiös oder kulturell bedingten
Migrationen). Lange Zeit wurde dieser Begriff Min-
derheit wertend als Gegensatz zu einer vermeintlich
»mehrwertigen« Mehrheit verwendet, weshalb in neu-
ester Gesetzgebung tendenziell eher von Volksgruppe
gesprochen wird.
Klemenčič/Harris (2009) unterscheiden zwi-
schen autochthonen und allochthonen Minderheiten,
wobei erstere, historisch betrachtet, im Laufe ihrer
→ Kulturgeschichte die → Kulturlandschaft mitgestal-
tet haben, insgesamt aber weitgehend Resultat neuer
Grenzziehungen sind. Sie unterscheiden also zwischen
solchen Minderheiten, die a) vor der Grenzziehung
Teil der dominierenden Mehrheiten waren (Südtiroler
in Italien, Ungarn in der Slowakei), b) solchen, die zu-
vor keinen eigenen Nationalstaat hatten (Slowenen in
Österreich und Italien), c) solchen, die aus vorindust-
rieller Migration hervorgegangen und territorial keine
Verbindung zu ihrem ursprünglichen Sprachraum ha-
ben (Banatschwaben), d) solchen, die keinen eigenen
Nationalstaat haben und in zwei oder mehreren Staaten
leben (Basken, Kurden), e) solchen, die keinen eigenen
Nationalstaat haben, aber in nur einem Staat leben
(Galizier in Spanien, Bretonen in Frankreich) sowie f)
solchen, die Reste einst weiter verbreiteter Völker sind
(die sibirischen indigenen/autochthonen Völker).
Seit dem Aufkommen der nationalstaatlichen Ideo-
logie entwickelten im europäischen Kontext die je-
weils herrschenden »Gruppen« in den Staatsgefügen
– bzw. jenes Volk bzw. Volksgruppe, die den jeweiligen
Herrscher bzw. die gesellschaftliche Führungsschicht
stellte – einen exklusiven kulturellen und politischen Führungsanspruch. Dieser Anspruch entsprach nicht
notwendigerweise den demografischen Gegebenhei-
ten, sondern eher einem höheren sozialen Prestige. Die
Gesamtheit der → Slawen etwa stellte die Mehrheit in
der Gesamtmonarchie, Slowenen waren die absolute
Mehrheit im geschlossenen slowenischen Sprachraum
→ Südkärntens/Južna Koroška. Sie waren also in wei-
ten Teilen des Landes keineswegs »Minderheit«.
War etwa in der Habsburgermonarchie seit Jo-
seph II. 1784 Deutsch als innere → Amtssprache
festgelegt, so kam ab der Mitte des 19. Jh.s eine na-
tionalideologisch bis hin zu rassistisch motivierte sich
radikalisierende Negation von Rechten der jeweili-
gen als »minderwertig« betrachteten »Minderheiten«
hinzu (→ Wutte, →
Windischentheorie). Gerade
Slowenen und Slowaken wurden dabei als sog. »ahis-
torische Völker« dargestellt, um so einen Vorwand zu
haben, Rechte, die andere Völker für sich beanspruch-
ten, nicht anzuerkennen. (Die Slowenen erhielten so
im Rahmen der Habsburgermonarchie nie die seit
dem Programm der → Zedinjena Slovenija [Verein-
tes Slowenien] 1848 geforderte eigene Universität ; in
Kärnten/Koroška war die Negation des Existenzrech-
tes der Slowenen gesetzliches Ziel des utraquistischen
→ Schulwesens.)
Der verallgemeinerte Gebrauch des Begriffs Min-
derheit verstärkte jedoch soziolinguistisch bzw. psycho-
linguistisch entsprechende Erwartungshaltungen und
kognitive Dissonanzen (→
Geschichtsschreibung und
kognitive Dissonanzen). Diese Erwartungshaltungen
wurden graduell von den verschiedenen Bevölkerungs-
gruppen und ihren Eliten verinnerlicht : einerseits von
jenen, die in sprachlich-ethnischer Hinsicht die Macht
vertraten, und andererseits von jenen, die aufgrund
wirtschaftlicher Sozialstrukturen oder anderer Rechts-
instrumente wie Verfassung und Wahlrecht nicht ent-
sprechende Möglichkeiten der gesellschaftlichen, wirt-
schaftlichen oder politischen Partizipation hatten bzw.
aus dieser strukturell durch die manipulative und an
sich grundrechtswidrige Wahlkreiseinteilungen ausge-
schlossen wurden (→ Wahlordnungen, → Wahlkreis-
einteilungen).
Der Kremsierer Verfassungsentwurf aus 1848/1849
(§ 19 des Grundrechtskatalogs) sowie gleichlautend
die →
Oktroyierte Märzverfassung vom 4. März 1849
(§ 5) sprechen noch davon, dass »alle Volksstämme
gleichberechtigt sind« und dass »jeder Volksstamm
[…] ein unverletzliches Recht auf Wahrung und Pflege
seiner Nationalität und Sprache [hat]«. Zudem statu-
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Volume 2 : J – Pl
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1942
- Volume
- 2 : J – Pl
- Authors
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 502
- Categories
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur