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Mischsprache
„St. Thomaš“ in St. Thomas
am Zeiselberg/Šenttomaž pri
Celovcu, Aktivist unbekannt,
Foto Bojan-Ilija Schnabl
26.12.2010 →
Relevanz und Redundanz von Sprache aufgrund einer
dominanten → Bildungssprache wurde die subjektive
Verinnerlichung des Konzeptes einer M. als Vektor für
die subjektive Begründung des →
Sprachwechsels und
der Assimilation. Eng damit in Verbindung steht das
Konzept des → gemischtsprachigen Gebietes, das im his-
torischen Kontext eigentlich das geschlossene sloweni-
sche Siedlungsgebiet in → Südkärnten/Južna Koroška
bezeichnet und somit ahistorisch ist.
Im Kontext des frühkindlichen → Spracherwerbs
hatte die ideologisierte gesellschaftliche Festigung des
Konzepts der M. langfristige Folgen vor allem für die
Slowenen in Kärnten/Koroška als Volksgruppe. Das
Bewusstsein einer slowenischen Sprachkultur verrin-
gerte sich paralell zur abnehmenden Sprachkompetenz
der Elterngeneration und ihres damit einhergehenden
sich wandelnden Selbstbildes. Und das spiegelte sich
wiederum insbesondere auch in der dadurch geprägten
Sprachvermittlung an die folgenden Generationen. Bei
Sprechern der deutschen Sprache hat ein Verfall der
Sprachkultur im gesellschaftlichen Kontext der Do-
minanz einer Sprache in weit geringerem Maße Aus-
wirkungen auf deren sprachlich-identitäres Selbstbild,
da diesen Sprechern zumindest ein Vergleichswert für
ihre subjektiv empfundene Sprachkompetenz fehlt
(→ Identität, territoriale).
Beim Spracherwerb insbesondere von Kindern ver-
hält es sich in der Tat so, dass, wenn Eltern bzw. die
Bezugspersonen (Lehrer) in der appellativen Kommu-
nikation mit Kindern verschiedene Sprachen durchge-
hend mischen, die Kinder ein entsprechendes Sprach-
gemisch sprechen, in der die Ausgangssprachen je nach
subjektiver bzw. emotionaler sowie je nach gesellschaft-
licher Relevanz unterschiedlich zum Ausdruck kom-
men. Das Kind vermischt verschiedene Sprachsysteme
in inkohärenter Weise. Geschieht die Sprachmischung in einem weiteren gesellschaftlichen Umfeld, etwa in
der Schule, kann es zur Pidginisierung der Sprachen
und der Entwicklung einer neuen Pidgin-Sprache
kommen (Creolisch). In einem Umfeld allerdings, in
dem eine Sprache gesellschaftlich, wirtschaftlich, me-
dial, rechtlich und im subjektiven Geschichtsbild – um
nur diese Aspekte zu nennen – absolut dominierend ist,
ist der transgenerationelle Effekt der M. die Reduk-
tion der »Minderheiten«-Sprache auf Atavismen auf
dem Niveau von →
Lehnwörtern und die Identität der
dominierten Sprache geht verloren (→ Soziolekt). De
Cillia spricht daher von der sog. »Halbsprachigkeit«
oder »doppelten Halbsprachigkeit« bzw. »Semilingu-
alismus«. Dabei handelt es sich um »eine steckenge-
bliebene, unvollständige sprachliche Sozialisation bei
Minderheitenangehörigen, eine Zweisprachigkeit, bei
der sich aufgrund eines ungünstigen Verlaufs weder die
eine noch die andere Sprache, daher auch die Spracher-
werbsfähigkeit nicht voll entwickeln konnte, weil die
schulische Sozialisation ausschließlich oder überwie-
gend in einer Fremd- oder Zweitsprache erfolgt und
die Entwicklung in der Erstsprache mit dem Schulein-
tritt abbricht«. Im Kärntner Kontext ist dies einer der
bedeutendsten strukturellen linguistischen Vektoren
der →
Germanisierung der Slowenen (→ Zweispra-
chigkeitsideologie, → Minderheit).
Das Mischen von Sprachen innerhalb von semanti-
schen oder assoziativen Einheiten durch eine Bezugs-
person (Elternhaus, LehrerInnen in der Volksschule/
Gymnasium, KlassenkollegInnen) im Lernprozess ist
grundsätzlich eine besondere Herausforderung beim
Erlernen jedweder Sprache. Je kleiner das Kind (mit Si-
cherheit bis zu den ersten Volksschulklassen, aber auch
später), desto weniger besitzt dieses die Abstraktionsfä-
higkeit, die verschiedenen Sprachsysteme beim Hören
eines Sprachgemisches zu unterscheiden, da es ad per-
sonam lernt und die Sprache mit der Person assoziiert.
Deshalb werden schließlich Sprachkurse im jeweiligen
Mutterland der Sprache (Sprachferien, → Immersion)
und die sog. Konversationskurse mit Muttersprachlern
für Erwachsene abgehalten. Verwenden also erwach-
sene Bezugspersonen Fremdwörter, dann muss deren
Gebrauch für das Kind klar als sprachlich fremdes
Element identifizierbar sein (lautliche Anführungszei-
chen).
Hingegen ist das Erlernen von mehreren Sprachen
mit mehreren Bezugspersonen grundsätzlich unproble-
matisch und das Kind lernt so viele Sprachen, wie es Be-
zugspersonen hat. Von Bedeutung ist, dass jede Sprach-
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Volume 2 : J – Pl
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1942
- Volume
- 2 : J – Pl
- Authors
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 502
- Categories
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur