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Mythologie
Dreikopf-Fragment aus St
Martin Silberberg, Foto Peter
Schwarz, Landesmuseum
Kärnten
tur oder Gesellschaft aufbaut. Das Wort Mythos (aus
dem Altgriechischen μυθοσ = Wort, Rede, Botschaft,
Nachricht, Kunde ; Mythos, Fabel) hat verschiedene
Bedeutungen. Zunächst bedeutete der Mythos eine
Erzählung über die Götter, eine Ideologie in erzählter
Form, eine ursprüngliche Wahrheit, den Korpus sehr
alter Symbole, die Dimension des Erfassens der Welt
durch den Menschen. Später begann man die Mythen
mit Erdachtem, Erlogenem, mit Märchenhaftem und
Orakelhaftem in Verbindung zu bringen. In der Zeit
der Renaissance wurde das Interesse an den antiken
Mythen wiederbelebt. Im Zeitalter der Aufklärung
und Romantik wiederum begann man sich für den
»natürlichen« Menschen und seine Überlieferung zu
begeistern. So z. B. Giovanni Battista Vico, Jean Jac-
ques Rousseau, James Macpherson und Johann
Gottfried Herder. Die Brüder Jacob und Wilhelm
Grimm konnten ihre Forschungen bereits auf den
Erkenntnissen von einer gemeinsamen Herkunft der
meisten europäischen Völker aufbauen. Der Erste, der
versuchte, die germanische Mythologie in ein einheitli-
ches System einzuordnen war Jakob Grimm (Deutsche
Mythologie 1835). Die mythologische Schule der Ro-
mantik erkannte in der erzählerischen und dichteri-
schen →
Überlieferung vorchristliche Göttergestalten
und deren Verbundenheit mit der Natur. Dem folgte
Max Müller (1823–1900), der das mythopoetische
Denken hervorhob. Adalbert Kuhn (1812–1881) und
Wilhelm Schwarz (1821–1899) sahen in Mythen
den menschlichen Versuch, die Naturerscheinungen
nach seinem eigenen Maß zu erklären. Ähnlich dachte
auch Aleksandr Nikolaevič Afanasiev, der in den
slawischen Mythen ebenfalls vor allem ihre inhaltliche
Verbundenheit mit der Natur suchte. Mit seiner ani-
mistischen, naturmagischen Theorie suchte Wilhelm
Mannhardt in den Volksbräuchen und Überlie-
ferungen nicht mehr Götter – sondern die Dämonen
– Dämonologie. Es folgten der Evolutionismus, der
Diffusionismus und die ritual-mythologische Rich-
tung von James George Frazer und der Funktiona-
lismus von Bronislav Malinovski ; Letzterer beruhte
auf der Idee, der Mythos und die soziale Wirklichkeit
seien funktionell verbunden. Sigmund Freud und
Carl Gustav Jung fanden einen analytisch-psycholo-
gischen Zugang zum Mythos. Wesentliche Impulse
zur Entwicklung der Mythos-Forschung kamen von
der französischen Schule eines Emil Durkheim, vom
Strukturalismus eines Claude Lévi-Strauss und
Roland Barthes, von der symbolistischen Theorie Ernst Cassirers, der semiotischen Ausrichtung von
Mihail Bahtin, Vladimir N. Toropov und Vladi-
mir V. Ivanov. In der Gegenwart sind semiotische
Forschungen aktuell sowie die Richtung von Paul Ri-
coeur und Mircea Eliades. Einige Studien heuti-
ger Forscher sind postmodernistisch und übernehmen
Methoden der vergleichenden und kognitiven My-
thologie. Ein relevanter Zugang über die marxistisch-
dialektische Methode von Alenka Goljevšček wurde
mangels einer Übersetzung in eine große europäische
Sprache international kaum rezipiert. Einen moder-
nen kulturwissenschaftlichen Ansatz mit besonderer
Berücksichtigung der transkulturellen Prozesse der
→ Inkulturation im slowenischen/zweisprachigen Kul-
turraum in Kärnten/Koroška verfolgt Schnabl. Die
Kärntner slowenische Mythologie erhielt vor allem die
Erinnerung an König Mathias Corvinus in der Figur
des → kralj Matjaž, die »wilde Jagd«, die → Perchten
(pehtra baba) und die Saligen Frauen oder → Sibyllen
(žal-žene). Zur Zeit der nationalen Wiedergeburt hat
Urban → Jarnik über die Kärntner Saligen Frauen
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Volume 2 : J – Pl
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1942
- Volume
- 2 : J – Pl
- Authors
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 502
- Categories
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur