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Name und Identität
len und/oder kolportierten Wandels der sprachlichen
und politischen Verhältnisse. So wird etwa die heutige
Situation der → Zweisprachigkeit in der Gesellschaft
auf historisch vergangene Epochen projiziert, als man
eben noch nicht von einer »Zweisprachigkeit« im heu-
tigen Sinn sprechen kann. Ebenso vermittelt allein die
Bezeichnung → »gemischtsprachig« an sich Konzepte
und festigt Denkmuster. Solchermaßen wurde vielfach
aus einer slowenischen sprachlichen und historischen
Identität eine zweisprachige oder eine »gemischtspra-
chige« (→ Inschriften, → Maria Gail/Marija na Zilji).
Im diametralen Gegensatz zur Benennung stehen die
gesellschaftliche Tabuisierung und die Verweigerung
einer Benennung einer gesellschaftlichen Gegebenheit.
Diese Verweigerung ist ein Mittel, das Nicht-Benannte
aus dem kollektiven Bewusstsein zu verdrängen. Insbe-
sondere erschwert bzw. verhindert eine gesellschaftlich
bedingte Quasi-Inexistenz durch Nicht-Benennung
und Namenlosigkeit eine Entwicklung der solcher-
maßen verweigerten spezifischen Individualität bei
den betreffenden Personen(-gruppen) und ist ein zen-
trales Element für den Verlust der Identität. Der ge-
samte Themenkomplex der → Assimilation in Kärnten/
Koroška ist eng mit der Frage der Verweigerung der
Identität und der dieser Identität zugrunde liegenden
Benennung verbunden. Nicht-Benennung und Verwei-
gerung der durch den Namen definierten Individualität
ist also aufs Engste verbunden mit der Zuerkennung
von fundamentalen Grund- und Menschenrechten (vgl.
auch oben zum kryptisierenden Begriff → »gemischt-
sprachig«).
Die Reduzierung der Menschen auf Häftlings-
nummern und ihre Eintätowierung unter dem NS-
Gewaltregime stellen den Höhepunkt der gesetzlich
verankerten und systematisch betriebenen Negation
der menschlichen Identität in der europäischen Zivi-
lisationsgeschichte dar, wie sie im Übrigen auf ande-
rer Ebene auch im Rahmen des sog. → »Generalplans
Ost« verfolgt und umgesetzt wurde.
Insgesamt spiegelt die → Geschichtsschreibung die
gesellschaftliche Anerkennung der Vielfalt der Identi-
täten. Wenn in der ständigen Ausstellung des Kärntner
Landesmuseums im 1. Stock noch 2011 (welche Ende
2012 zwecks Erneuerung abgebaut wurde) kein einzi-
ges Mal das Wort »Slowene/slowenisch« vorkam und
es in den einschlägigen Museumsführern (etwa in Ko-
schier 1987, Leitner 1987, Piccotini 2003) quasi
inexistent war, dann existiert diese gesellschaftliche
Kategorie eben auch nicht im wissenschaftlichen und öffentlichen Bewusstsein einer Anstalt, die allerdings
mit öffentlichen Mitteln finanziert und somit einen
demokratischen öffentlichen Auftrag hat, dem sie so
nicht gerecht wird. Jedenfalls kann in einer konsequen-
ten »Nicht-einmal-Benennung« eine Systematik gese-
hen werden, die als eine gezielte »Entslowenisierung«
der regionalen slowenischen Geschichte umschrieben
werden kann, wobei die vorgebliche → »Entethnisie-
rung«, d. h. eine vom »Nationalistisch/Ethnischen«
»gesäuberte« Darstellung, eigentlich eine neue sugges-
tive Ethnisierung hin zu einer vermeintlich deutschen/
deutschsprachigen Geschichte betreibt, indem sie das
Slowenische zu einer historischen, inkohärenten Zu-
fallserscheinung minimiert.
Die auf Kärnten/Koroška anzuwendenden Beispiele
für die Wechselbeziehung von Name und Identität
sind vielfältig und vielfach mit den psycholinguisti-
schen und soziolinguistischen Phänomenen verbunden.
Bezeichnend für die enge Verbindung von Name und
Identität mit der zeitlichen Entwicklungsdimension
ist schließlich auch die Benennung des sog. → Ro-
sentaler Dialektes (rožanščina), der mit seinen Mund-
arten weit über den namengebenden geografischen
Bereich hinausreicht. Er umfasst zusätzlich Teile der
→ Karawanken/Karavanke, die → Sattnitz/Gure, das
→ Klagenfurter Feld/Celovško polje und die → Ossia-
cher Tauern/Osojske Ture nördlich des Wörther Sees/
Vrbsko jezero (und nach Logar Randbereiche des
→ Jauntals/Podjuna, des → Völkermarkter Hügellan-
des/Velikovško podgorje und der → Saualpe/Svinška
planina). Das heißt, er umfasst den gesamten → Süd-
kärntner Zentralraum/Osrednja južna Koroška, zu dem
historisch als Dialektkontinuum noch das Moosburger
Hügelland/Možberško gričevje, das → Zollfeld/Gos-
posvetsko polje und der → Krähwald/Hreblje hinzu-
zuzählen sind, wo noch bis in die Erste und teilweise
sogar in die Zweite Republik trotz → Assimilation und
→ Germanisierung von der älteren Generation auch
Slowenisch gesprochen bzw. verstanden wurde. Daher
ist der Begriff → Rosentaler Dialekt (rožanščina) stark
einschränkend, da er in Wirklichkeit über die Mund-
arten des oberen und unteren Rosentals/Rož und des
Klagenfurter Feldes/Celovško polje hinausreicht bzw.
hinausreichte. In der Folge wurde vereinfachend der
Begriff Rosental/Rož als Sammelbegriff für das ge-
samte zentralkärntner (»Rosentaler«) slowenische Di-
alektgebiet verwendet. Damit wurde das slowenische
(Sprach-)Gebiet gleichzeitig aber auch konzeptuell als
Dreieinheit von Rož – Podjuna – Zilja [Rosental, Jaun-
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Volume 2 : J – Pl
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1942
- Volume
- 2 : J – Pl
- Authors
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 502
- Categories
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur