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Wiener Schriftsprachen-Vereinbarung
lich der Sprachenfrage, die in der Aufkündigung des
Abkommens von 1954 seitens kroatischer Kulturinsti-
tutionen gipfelten, was in der Folge durchaus zu Refor-
men führte. Jedenfalls zeigte diese Phase bereits eth-
nonationale Risse in der jugoslawischen Gesellschaft,
die unabhängig davon, wieweit sie tatsächlich weitere
Bevölkerungsmassen mobilisieren konnten, zukünftige
Entwicklungen vorwegnahmen.
Im Zuge des jugoslawischen Zerfallsprozesses in den
1980er- und 1990er-Jahren kam es zum vielfach poli-
tisch motivierten oder traumatisch bedingten sprach-
lich-terminologischen Differenzierungsprozess, der in
Bosnien 1993/94 formalisiert wurde, wobei sich das
Serbische in Bosnien im Unterschied zur Amtssprache
in Serbien, die das ›Ekavische‹ verwendet, an das »Ije-
kavische« anlehnte, das weitgehend auch von Kroaten
und von den Bosniaken verwendet wird. Die drei bzw.
mit dem Montenegrinischen vier Sprachen sind jedoch
nach wie vor weitestgehend interkommunikabel (so
wird etwa im bosnischen Kontext Gemeinde/Gemein-
derat zu bosn./kroat.: općina und Općinsko vijeće [OV]
und zum serb.: opština/општинa und Skupština opštine/
Cкупштина општине [SO/CO]). In einem Urteil des
BiH-Verfassungsgerichts vom 19. August 2000 wurde
allerdings nach Gröschel 2009 (S. 217 f.) die exklu-
sive Amtssprachenregelung gekippt.
Eine europäische Analogie könnte man im Ver-
hältnis zwischen der österreichischen und der deut-
schen Variante des Deutschen sehen : So wird etwa
in deutsch-deutschen und österreichisch-deutschen
Rechtstexten jeweils die spezifische Rechtstermino-
logie verwendet (die European Charter of Local Self-
Governance des Europarats heißt so in der offiziellen
deutsch-deutschen Übersetzung »Europäische Charter
zur kommunalen Selbstverwaltung und in der amtlichen
österreichischen Übersetzung Europäische Charter zur
lokalen Selbstverwaltung). Ansonsten wurde jedoch
weder der gesamte deutschsprachige EU-Aquis mit
dem Beitritt Österreichs zur EU 1995 in ein Öster-
reichisch-Deutsch übersetzt, noch werden seither die
EU-Rechtstexte in beide Sprachvarianten »übersetzt«.
Im Alltag haben allerdings auch einheimische BKS-
sprechende Einwohner der Staaten des Wesbalkan
aller BKS-sprechenden ethnischer Gruppen sowie
solche, die keiner dieser Gruppen angehören, biswei-
len Schwierigkeiten, konsequent die neuen ethnischen
Sprachregeln umfassend und »fehlerfrei« anzuwenden.
Zudem treibt die Diskussion um das wichtige »Grund-
recht« auf die eigene Sprache auf einer anderen Ebene bisweilen ihre Blüten. So fordern zeitweise Einheimi-
sche in »Ex-Jugoslawien« von Ausländern, die nicht
BKS als Muttersprache haben und unmöglich alle dif-
ferenzierenden Details kennen können (ebenso wenig
wie zahlreiche Einheimische selbst), von diesen in der
informellen öffentlichen Kommunikation eine ethnisch
reine Sprachvariante ein. Damit sprechen sie ihnen
gleichsam das Recht auf »ihren« kreativen Gebrauch
der Fremdsprache ab bzw. vergessen, dass die auslän-
dischen Kommunikationsträger davon ausgehen müs-
sen, dass sie gerade in den durchwegs multiethnischen
Nachfolgestaaten Jugoslawiens eben nicht vor einem
monoethnischen Publikum sprechen bzw. nicht von ei-
nem monoethnischen Publikum gelesen werden. Von
den BKS-›Muttersprachlern‹, die nicht Angehörige
einer der drei konstitutiven Völker sind (etwa Roma/
Sinti, Juden oder Walachen), ganz abgesehen. Insge-
samt hat eine solche Haltung jedoch vor allem Aus-
wirkungen auf die globale Attraktivität der Sprache für
nicht Muttersprachler ebenso wie für die zweite und
dritte Generation der BKS-Diaspora sowie folglich
auf die Chancen der nachhaltigen Entwicklung der
Sprache in einem globalen Umfeld. Mit dem Sprach-
partikularismus und der Negation der gemeinsamen
Schriftsprache in mehreren Varianten verlor die einst
tolerante und offene »Weltsprache« Serbokroatisch ihre
transnationale Kommunikationsfunktion innerhalb der
verschiedenen BKS sprechenden Ethnien wie auch für
die nicht bosnisch/kroatisch/montenegrinisch/serbisch
sprechenden Angehörigen der Völker des Westbal-
kan und anderer, insbesondere slawischer Völker und
Volksgruppen. Als Kontrastbeispiel kann hier wohl am
ehesten die weltumspannende sprachliche Toleranz des
Englischen herangezogen werden, das eben gerade des-
halb attraktiv ist und so stetig an Bedeutung gewinnt
(Gröschel 2009, Kordić 2010 sowie Europarat
1985).
Neueste Entwicklungen im Rahmen der EU-Bei-
trittsprozesse, im Zuge welcher nach Medienberichten
Kroatien seine Übersetzungen des Acquis Serbien und
Bosnien und Herzegowina als Zeichen gutnachbar-
schaftlicher Beziehungen zur Verfügung gestellt hat,
deuten darauf hin, dass es strukturell im Rahmen der
EU wieder zu einer terminologischen Angleichungs-
tendenz kommen wird, wie sie bereits im 19. Jh. kon-
zeptualisiert worden war und die zur gemeinsamen
Schriftsprache mit unterschiedlichen Varianten geführt
hat.
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Volume 3 : PO - Ž
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1942
- Volume
- 3 : PO - Ž
- Authors
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 566
- Categories
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Lemmata Band 3 Po–Ž 1049
- Verzeichnis aller AutorInnen/BeiträgerInnen und ihrer jeweiligen Lemmata 1571
- Verzeichnis aller ÜbersetzerInnen und die von ihnen übersetzten Lemmata 1577
- Verzeichnis der BeiträgerInnen von Bildmaterial 1579
- Verzeichnis der Abbildungen 1580
- Synopsis (deutsch/English/slovensko) 1599
- Biographien der Herausgeber 1602