Page - 1519 - in Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška - Von den Anfängen bis 1942, Volume 3 : PO - Ž
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Windischentheorie(n)
kaernten/institutionen-projekte/gruendung-des-vereins-der-windi-
schen-kulturarbeit-im-rueckwaertsgang. (9. 11. 2013).
Bojan-Ilija Schnabl
Windischentheorie(n). Die Bezeichnung »Windi-
sche« (für die Kärntner Slowenen) hat ebenso wie die
Bezeichnung »Wenden« (für die Lausitzer Sorben) eine
gemeinsame Wurzel : Im Mittelalter wurden die östli-
chen und südlichen Nachbarn der Deutschen »Winedi«,
»Windi«, »Wenidi« genannt, welche Namen wiederum
auf die »Veneti« (selbst allerdings keine Slawen), die im
Baltikum siedelten, zurückführbar sind. Als sich dort
auch Slawen ansiedelten (die auch in den Süden Eu-
ropas wanderten), wurden diese (ursprünglich nichtsla-
wische Völker bezeichnenden) Völkernamen (→
Eth-
nonym) auf alle Slawen ausgeweitet (→ windisch). Im
Laufe der Zeit wurde die Bezeichnung »Wenden« auf
die Slowenen, Lausitzer Sorben, die Slowinzen und
die Slawen in Pommern eingeengt. Erst an der Wende
vom 18. zum 19. Jh. wird die Tendenz spürbar, die Be-
zeichnung »Windisch« (aber auch »Wende«) aus dem
deutschen Sprachgebrauch zu verdrängen, da er bereits
damals eine pejorative Bedeutung besaß. (Vgl. auch
die noch heute in Kärnten/Koroška übliche Schimpf-
redewendung : »Windischer Hund, windischer«). Dies
hat allerdings seine gesellschaftlichen und historischen
Wurzeln : Seit dem Feudalismus bekam die Bezeich-
nung »Windisch« eine zusätzliche semantische Nu-
ance : »windisch« bedeutete (konnotativ) stets auch
»untergeordnet«, »(klein)bäuerlich«, »ländlich«, »rück-
ständig«. (Vgl. im Gegensatz dazu die → »windische
Ideologie« bzw. Ideologie des windischen/slowenischen
Herzogtums Kärnten/Koroška im 16. Jh.). Die sprach-
ästhetischen Werturteile, die massiv in die deutschnati-
onale Ideologie des Schulkampfes eindrangen, wonach
Deutsch (als die Sprache der Oberschicht und des Mit-
telstandes sowie der Verwaltung, etc. – vgl. Kranz-
mayer 1960) »vornehm«, Windisch (als die Sprache
der Bauern, Knechte und eventuell des unbedeutenden
Kleinbürgertums) »schiach«/hässlich sei, widerspiegeln
die gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse deutlich
(→ Schulwesen, →
Soziolekt).
In der weiteren Folge (vor allem nach 1918) war die
Bezeichnung »Windisch« in den deutschsprachigen
publizistischen, politischen und historischen Publi-
kationen weitgehend synonym für »deutschfreund-
licher Slowene«, später (bis heute) für »heimattreuer
Slowene«. Im Gegensatz dazu stand die Bezeichnung
»slowenisch« (oder auch »nationalslowenisch«) speziell nach 1920 weitgehend als Synonym für »jugoslawien-
freundlich«, nach 1945 vor allem in der rechtsnationa-
len Publizistik zunehmend für »partisanenfreundlich«
und etwa seit 1950 für »titokommunistisch«.
Die (politische) Basis der Windischen-Theorie ist
die Rechtfertigungsideologie für die expansive Besitz-
standspolitik der deutschsprachigen Oberschicht, die
bestrebt war, einerseits die Entstehung eines sloweni-
schen Kleinbürgertums zu verhindern, und andererseits
die slowenischen Kleinbauern in wirtschaftlicher und
politischer Abhängigkeit zu halten und damit auch eine
nationale Emanzipation der Slowenen zu unterbinden.
Charakteristisch für diese Theorie ist der ihr zugrunde
liegende (völkische) Sozialdarwinismus, wonach der
Anstieg des deutschen Elements in Kärnten/Koroška
auf Kosten des slowenischen »natürlich«, »gesund« etc.
sei (u. zw. aufgrund der »naturgegebenen« Überlegen-
heit des deutschen Blutes, der deutschen Kultur, der
deutschen Sprache etc., vgl. dazu Scheichelbauer,
Miltschinsky, Mucker, →
Wutte, u. a.). Alles,
was den Realisierungen dieser »Theorie« widersprach
(bzw. die Germanisierung ver- bzw. behinderte), wurde
daher in logischer Konsequenz als »Slowenisierung«
bezeichnet und bekämpft. Vor allem im Schulkampf
wurde dies zu einem viel strapazierten Schlagwort der
deutschnationalen Kampfrhetorik.
Als besonders extremer Standpunkt ist die Position
anzusehen, wonach die »Windischen« entwicklungsge-
schichtlich nichts mit den Slowenen gemeinsam hätten,
sondern dass sie vielmehr von den »Wenden« abstam-
men, von denen sie sich vor etwa 1.000 Jahren getrennt
haben sollen. Die »Windischen« seien daher durch
eine 1.000-jährige Verbundenheit an die Deutschen
dem deutschen Kulturkreis zugehörig und hätten mit
den Slowenen nur einige Wörter gemeinsam (vgl. Ude
1976). Dieser extreme Standpunkt wird heute kaum
noch in dieser Form vertreten, wohl aber in einer Abart,
die Wutte (1930) in der Zwischenkriegszeit ausgear-
beitet hat. Danach wird behauptet, dass sich das Kärnt-
ner Slowenische vom »Krainischen und Neusloweni-
schen« dermaßen unterscheide, dass man Ersteres nicht
mehr dem Slowenischen zuordnen könne, sondern die-
ses den Status einer Mischsprache einnehme. Daraus
wird dann später auch die Existenz eines »windischen
Volkes« konstruiert, das sich aus der Verschmelzung bzw.
aus der »Bluts-«, »Kultur-« und »Schicksalsgemein-
schaft« mit den Deutschen konstituiert hätte. Hier aber
verfängt sich Wutte selbst in einer widersprüchlichen
Argumentation, so Haas-Stuhlpfarrer (1977 :
51) :
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Volume 3 : PO - Ž
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1942
- Volume
- 3 : PO - Ž
- Authors
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 566
- Categories
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Lemmata Band 3 Po–Ž 1049
- Verzeichnis aller AutorInnen/BeiträgerInnen und ihrer jeweiligen Lemmata 1571
- Verzeichnis aller ÜbersetzerInnen und die von ihnen übersetzten Lemmata 1577
- Verzeichnis der BeiträgerInnen von Bildmaterial 1579
- Verzeichnis der Abbildungen 1580
- Synopsis (deutsch/English/slovensko) 1599
- Biographien der Herausgeber 1602