Page - 1525 - in Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška - Von den Anfängen bis 1942, Volume 3 : PO - Ž

1525 Wutte, Valentin →  Volksabstimmung vom 10. Oktober 1920 zugunsten eines Verbleibs bei Österreich votiert hatten, wurden von ihm als gleichsam »heimattreue KärntnerInnen« qualifiziert, deren Entscheidung als Bekenntnis zu einer gemeinsamen Kultur- und Schicksalsgemein- schaft gewertet (→  Windische). W. hatte dabei eine deutschnationale Leitkultur vor Augen (→  Assimi- lation, →  Germanisierung). Zu seiner nationalpoliti- schen Orientierung hat er in seinem autobiografischen Lebenslauf ein Bekenntnis zu seiner deutschfreiheitli- chen Gesinnung abgegeben. Ein Österreichbewusst- sein, das in der Zwischenzeit entweder lange Zeit kaum präsent war, später dann quasi von oben herab verordnet worden ist, hatte bei W. zeitlebens eine bes- tenfalls tertiäre Bedeutung, »Alles für Kärnten !« stand im Vordergrund. W.s Vorstellungen vom Deutschtum führten zwar nicht nur, aber vor allem bei einem Groß- teil der slowenischsprachigen Landesbevölkerung zu einem schwer lösbaren nationalen Identitätsproblem, das durch die außen- und innenpolitischen Bedin- gungen des jungen Staates nach dem →  »Anschluss« Österreichs an das Deutsche Reich weiter kulminieren sollte (→  Assimilationszwang, →  »Generalplan Ost«). W. erwies sich in dieser Zeit, nach anfänglichen Versu- chen, auf innere Distanz zu den neuen Machthabern zu gehen, zwar nicht als deklarierter aktiver Befürworter des neuen NS-Systems, ebenso aber nicht als deutlicher Gegner. Er war in jedem Fall ein überzeugter Träger der Idee, wonach die deutsche Nation eine besondere Kulturgemeinschaft sei. Faktum ist, dass er im Oktober 1942, kurz vor der Überreichung des ersten Kärntner Wissenschaftspreises durch Gauleiter Friedrich Rai- ner, der NSDAP beigetreten ist ; W. hatte den (ausge- zeichneten) Schüler Friedrich Rainer 1914−1918 im Gymnasium in Geografie und Geschichte unterrichtet. Und trotz angeschlagenen Gesundheitszustands, er war 1939 offiziell in den Ruhestand getreten, hat der Ge- lehrte in der Folge neuerlich, teilweise fragwürdige Ar- beiten für das und mit dem Kärntner Landesarchiv ge- leistet. Wieweit seine frühen pointierten Schriften zur »nationalen Frage« einen fruchtbaren Boden für spätere politische Vorstellungen der Nationalsozialisten abga- ben und wieweit hier W. verstrickt, missbraucht oder bewusst tätig war, ist derzeit nur teilweise nachweisbar. 1945 trat W. jedenfalls im Zuge der von →  Jugo- slawien erhobenen Gebietsansprüche auf Kärnten/ Koroška (und die Steiermark/Štajerska) erneut in ei- nen geistigen »Abwehrkampf«. Die Ernte der Früchte dieses Tuns konnte er nur bedingt einfahren. Er starb am 30. Jänner 1948 und wurde am Friedhof seines Ge- burtsortes in Obermühlbach bestattet. Werke : Kärntens Freiheitskampf 1918−1920 (=  Archiv für Vaterlän- dische Geschichte und Topographie 69, verbesserter Neudruck der zweiten umgearbeiteten und vermehrten Auflage [von 1943], Kla- genfurt 1985). Lit.: P. Tosoni : Martin Wutte – Leben und Werk eines Kärntner Histo- rikers (Diss. Graz 1966) enthält ein Schriftenverzeichnis aller Ver- öffentlichungen von Wutte ; K. Stuhlpfarrer : Volksabstimmungsfeiern und Geschichtsbild. In : Kärnten. Volksabstimmung 1920. Vorausset- zungen, Verlauf, Folgen (=  Studien zur Geschichte und Gesellschaft in Slowenien, Österreich und Italien 1, Wien/München/Kleinen- zersdorf 1981), 13–25 ; W. Neumann : Abwehrkampf und Volksabstim- mung in Kärnten 1918−1920. Legenden und Tatsachen (=  Das Kärntner Landesarchiv 2, Klagenfurt, 2., erweiterte Auflage 1985) ; U. Burz : Martin Wutte (1876−1948). Ein Kärntner Historiker und die Ianusköp- figkeit in der nationalen Frage. In : K. Hruza (Hg.) : Österreichische Historiker 1900−1945, Lebensläufe und Karrieren in Österreich, Deutschland und der Tschechoslowakei in wissenschaftsgeschicht- lichen Porträts, 2. Bde., Bd. 2. Wien/Köln/Weimar 2012, 201–261. Ulfried Burz Wutte, Valentin (* 31. Mai 1858 Serai/Seraje [Maria Gail/Marija na Zijli], † 1928 ?), Schuster, Sozialdemo- krat, Aktivist, Herausgeber des sozialdemokratischen Organs »Die Arbeit«. Nach der Schusterlehre in seiner Heimatgemeinde arbeitete W. als Geselle in Villach/Beljak und in des- sen Umgebung. 1881 begab er sich auf Gesellenwan- derschaft und war in Judenburg, Graz und St. Pölten. In dieser Zeit wurde er Sozialdemokrat. Nach seiner Rückkehr nach Villach/Beljak erhielt er eine Gesellen- anstellung bei Wilhelm Eich, damals einem bedeuten- den Mitglied der sozialdemokratischen Landesorgani- sation. W. engagierte sich in der Belebung der Kärntner Arbeiterbewegung und wurde 1885 oder 1886 nach Pleterski durch Los zum verantwortlichen Redak- teur des sozialdemokratischen Organs Die Arbeit be- stellt, das, von einem Kronland ins andere vertrieben, gerade in Villach/Beljak erschien. Bald danach wurde er als Redakteur zu einer einwöchigen Gefängnisstrafe verurteilt und verließ, nachdem er die Strafe abgesessen hatte, das Land. Nach seiner Rückkehr 1901 arbeitete er in der Arbeiter-Krankenkasse in Klagenfurt/Celovec. Quellen : Kärntner Volksblatt, 10. 6. 1928, Nr. 24. Lit.: J. Pleterski : Slowenisch oder deutsch, Nationale Differenzierungs- prozesse in Kärnten (1848–1914). Klagenfurt/Celovec 1996, 428–429 (slow. Erstausgabe Ljubljana 1965, 393–394). Bojan-Ilija Schnabl