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Zweisprachigkeitsideologie, Kärntner
Menschenrechte. Als eines der Ziele der Vertre-
ter der Z.-I. kann angesehen werden, eine wesentliche
menschliche Dimension des Seins, nämlich die Spra-
che und Kultur, einer politisch-ideologischen Finalität
mit allen Mitteln und ohne Rücksicht auf zivilisato-
rische Verluste zu unterwerfen (→ »Entethnisierung«).
Gleichzeitig werden durch die propagandistische und
manipulative gesellschaftliche Positionierung und My-
thologisierung der »vermeintlichen« Zweisprachigkeit
des slowenischen Landesteiles bzw. der Slowenen tiefe
kognitive Dissonanzen auch in der Mehrheitsbevölke-
rung geschaffen, die eine gesellschaftliche Akzeptanz
der Missachtung von Kernelementen der universellen
Grund- und Menschenrechte psycholinguistisch fes-
tigen, was dazu führt, dass Menschenrechtsverletzun-
gen – die Missachtung der verfassungsmäßig gewähr-
leisteten Grundrechte in Bezug auf Sprache – von der
politischen Öffentlichkeit nicht oder kaum hinterfragt
werden. Solchermaßen erfasst diese Ideologie nicht nur
weniger gebildete Bevölkerungsschichten, wie man
meinen könnte, sondern durchaus auch Bildungs-
schichten.
Mehrheit. Erwähnenswert ist, dass es im deutsch-
sprachigen Bereich nicht zu einem ähnlichen ›enteth-
nisierenden‹ Sprachgebrauch kommt. Deutschspra-
chige Personen und Vereine, die den interkulturellen
Dialog fördern, werden nicht als »zweisprachig« quali-
fiziert. Bei sprachlichen Mängeln von weniger gebilde-
ten deutschen Muttersprachlern wird deren ethnische
Identität nicht infrage gestellt. Im öffentlichen Diskurs
kommt vielmehr der Gegensatz zwischen Mutterspra-
che (= Umgangssprache) und einer vermeintlich uni-
versellen Fremdsprache zum Tragen. Damit kommt es
zu einer erhöhten gesellschaftlichen Akzeptanz, eine
Sprache NICHT zu können und KEINE intellektuellen
Ansprüche zu haben. In der Folge führt diese Haltung
jedoch zu einer allgemeinen verminderten Fähigkeit,
eine Fremdsprache zu erlernen. Die damit gefestigten
Denkmuster (»Wir-sind-wir-Mentalität«) führen zu
großen Einschränkungen, die eigene Situation und ei-
genen Denkweisen durchaus auch im Sinne eines intel-
lektuellen Strebens zu relativieren, was sich langfristig
negativ auf die Zukunftsdynamik und Zukunftsfähig-
keit der Gemeinschaft auswirkt. Insgesamt ist damit
die Mehrheitsbevölkerung selbst leichter politisch zu
manipulieren und im Grunde auch Opfer der Z.-I.
Auswege. Gesellschaftliche Auswege dieser zivili-
satorischen Tragödie, die durch die propagandistisch
positionierte Pseudo-Zweisprachigkeit als Vektor zur Förderung der deutschsprachigen Einsprachig-
keit verursacht wird, sind in einer Neuinterpretation
des Begriffs der → Zweisprachigkeit selbst bzw. in
dessen differenzierter Nutzung zu suchen. Das heißt,
dass entsprechende, von Humanismus getragene, psy-
cholinguistische Strategien gegen psycholinguistische
Manipulationen eingesetzt werden müssen. Das Kon-
zept der Zweisprachigkeit ist neu zu definieren, etwa in
Anlehnung an das Verständnis der Zweisprachigkeit
des Landes, wie es sich in der zweisprachigen, deutsch-
slowenischen → Landesverfassung von 1849 und der
multiethnischen Staatskonzeption der → Oktroyier-
ten Märzverfassung von 1849 widerspiegelte und wie
sich dies in den von Statthalter/Landeshauptmann
→ Schloissnig/Šlojsnik erstellten → Ortsreperto-
rien wiederfindet (vgl. →
Landessprache, → Landes-
einteilungs-Erlass 1849, 1854). Die Aufstellung von
zweisprachigen deutsch-slowenischen Ortstafeln – in
einer nicht von kognitiven Dissonanzen minimalisier-
ten Interpretation der verfassungsmäßig und völker-
rechtlich gewährleisteten Grund- und Menschenrechte
– wäre ebenso, abgesehen von der menschenrechtlichen
Verpflichtung, ein Beitrag, die zivilisatorischen ne-
gativen Auswirkungen der Z.-I. zu überwinden. Im
Übrigen stellt eine moderne institutionelle Zweispra-
chigkeit im öffentlichen Raum, im Bereich der Verwal-
tung und den Selbstverwaltungskörpern (Kammern),
Landtag, Parteien und Universitäten eine Notwen-
digkeit und ein zivilisatorisches Bedürfnis dar, um die
Zukunftsfähigkeit der Gemeinschaft insgesamt zu er-
höhen, wenn nicht gar zu gewährleisten. Ebenso wäre
eine verfassungsrechtliche Verankerung der Slowenen
in der Landesverfassung ein wesentlicher Beitrag, der
dem österreichsichen Verfassungsauftrag aus Art. 8/2
BVG entspräche und diesen verwirklichen würde.
Lit.: T. Veiter : Das Recht der Volksgruppen und Sprachminderheiten in
Österreich. Wien, 1970 ; K. Sturm-Schnabl : Die slovenischen Mund-
arten und Mundartreste im Klagenfurter Becken (Phil. Diss.). Wien
1973, 287 S.; H. Haas, K. Stuhlpfarrer : Österreich und seine Slowenen.
Wien 1977 ; G. Fischer : Das Slowenische in Kärnten. Bedingungen der
sprachlichen Sozialisation. Eine Studie zur Sprachenpolitik. Wien, Spra-
che und Herrschaft, Zeitschrift für eine Sprachwissenschaft als Ge-
sellschaftswissenschaft, Reihe Monographien Nr. 1 /1980 ; Comité
européen pour la défense des réfugiés et immigrés (CEDRI) (Hg.) :
Gemeinsam oder getrennt ? Die Situation der slowenischen Minderheit in
Kärnten am Beispiel der Schulfrage. Bericht einer internationalen Beob-
achterkommission, Basel 1985 ; T. Domej : Die Slowenen in Kärnten und
ihre Sprache mit besonderer Berücksichtigung des Zeitalters 1740 bis 1848.
(Phil Diss.). Wien 1986, VII, 562 S ; O. Kronsteiner : »Alpenroma-
nisch« aus slawistischer Sicht. In : Das Romanische in den Ostalpen. Hg.
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Volume 3 : PO - Ž
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1942
- Volume
- 3 : PO - Ž
- Authors
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 566
- Categories
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Lemmata Band 3 Po–Ž 1049
- Verzeichnis aller AutorInnen/BeiträgerInnen und ihrer jeweiligen Lemmata 1571
- Verzeichnis aller ÜbersetzerInnen und die von ihnen übersetzten Lemmata 1577
- Verzeichnis der BeiträgerInnen von Bildmaterial 1579
- Verzeichnis der Abbildungen 1580
- Synopsis (deutsch/English/slovensko) 1599
- Biographien der Herausgeber 1602