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gern das Klima großer Höhen mit dem Polarklima. So weit dieser Vergleich überhaupt
berechtigt ist, muß man ihn viel mehr auf den Hochalpensommer beziehen als auf den Winter.
Das Knappenhans der Goldzeche Fleiß in 2.740 Meter hat genau dieselbe mittlere
Sommertemperatur wie Nowaja Semlja unter 74° nördlicher Breite (4°), und in Höhen
von 3.300 Meter (10.000 Fuß) ist dieselbe schon niedriger als im nördlichsten Grönland
bei 80° Breite. Die Wintertemperaturen sind dagegen weit milder (Fleiß kaum —9°,
Nowaja Semlja —17°; in 3.300 Meter kaum —13°, in Nordgrönland bei 80° —33°).
Der kühle Sommer ist es, der in den Alpen von etwa 2.800 Meter Höhe an den Winter-
schnee nicht mehr zu schmelzen vermag und die ewigen Schneelagen und die davon aus-
gehenden Eisströme, die Gletscher, zur Entwicklung kommen läßt. Die mangelnde Sommer-
Wärme ist es, welche der Obstzucht, sowie dem Getreidebau iu den höheren Gebirgsthälern
frühzeitig eine Grenze setzt. In den Alpenthälern von 1.400 bis 1.500 Meter Seehöhe tritt
die Schneeschmelze und das Erwachen der Vegetation erst um den 21. April ein, die
Kirsche blüht um den 20. Mai, die Heu-Ernte fällt durchschnittlich auf den 27. Juni. Die
Kirsche reift erst gegen Ende August, das Winterkorn gleichfalls erst in der zweiten Hälfte
dieses Monats, der Hafer um die Mitte des September und mit dem 10. November
beginnt schon wieder die dauernde Schneedecke. Während in der Seehöhe von 600 Meter
sich die Schneedecke etwa 77 Tage lang hält, währt sie in 1.300 Meter schon über 200 Tage
und in 1.900 Meter etwa 250 Tage. So wird die Vegetationsperiode nach oben hin in
immer engere Grenzen eingeschlossen.
Infolge des kühlen Sommers und des relativ milden Winters hat das Höhenklima
eine geringere jährliche Wärme-Änderung als die darunter liegende Niederung. Zu
Innsbruck z. B. beträgt der Temperaturunterschied des wärmsten (18°) nnd des kältesten
(—3°4) Monats 21°4 Celsius, zu Beut, mehr als 1.200 Meter höher, nnr 17°3. Noch
geringer ist die jährliche Tcinperaturänderung an Bergabhängen, namentlich aber auf
Berggipfeln. Auf dem Schafberggipfel, der etwas niedriger ist als das Ötzthal bei Vent,
beträgt der Unterschied zwischen Jänner (—5°4) und Juli (9°5) nur 15°.
Wenn man die jährliche Temperaturänderung an dem Unterschiede der höchsten und
tiefsten Temperatur, die überhaupt einmal im Jahre eingetreten ist, mißt, so erscheint das
Gebirgsklima noch gleichmäßiger, denn die höchsten Kältegrade des Winters nehmen nach
oben nur wenig oder gar nicht an Strenge zu. In Klagenfurt z. B. ist die Temperatur
auf —30° Celsius gesunken, auf dem Obir dagegen, 1.600 Meter höher, während der
gleichen Jahrgänge nur auf —27°5. Aus den gleichzeitigen Beobachtungen zu Vent uud
Innsbruck kann man ersehen, daß die tiefste Temperatur oben —26°7, unten —22°5 war.
Man würde sich demnach eine ganz irrige Vorstellung von dem Klima in größeren Höhen
der Gebirge machen, wenn man sich vorstellen würde, daß die Extreme der Winterkälte in
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Übersichtsband, 1. Abteilung: Naturgeschichtlicher Teil, Volume 2
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Übersichtsband, 1. Abteilung: Naturgeschichtlicher Teil
- Volume
- 2
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1886
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.77 x 26.41 cm
- Pages
- 344
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch