Page - 2 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Übersichtsband, 1. Abteilung: Geschichtlicher Teil, Volume 3
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staatlichen Organisation festen Bestand gewonnen haben, wobei die verschiedenen Bestand
theile derselben unter der Einwirkung politischer, cnltnreller und soeialer Zusammen-
gehörigkeit allmälig mehr oder minder miteinander verschmolzen.
Daß die physische Beschaffenheit der Wohngebiete den Verlans dieses geschichtlichen
Processes wesentlich beeinflußt, ist unzweifelhaft. Die geographischen Verhältnisse
bestimmen in erster Linie den Wettkampf mit den Nachbarn, sowie die Art und den Grad
der Beeinflussung einer Volksgruppe durch die anderen Gruppen. Auch die übrigen Natur
bedingnngen innerhalb eines gegebenen Erdraumes nöthigen die Bevölkerungen zur
Anpassung uud drücken ihnen einen eigenthümlichen Localcharakter auf, der oft nahver-
wandte Volksgruppen in ihrem allgemeinen Habitus sehr merklich differenzirt. Durch dir
physischen Verhältnisse kann die Verschmelzung von verschiedenartigen Völkern innerhalb
eines Staates wesentlich verzögert oder beschleunigt werden.
So bilden die Mannigfaltigkeit der Oberflächengestaltnng des österreichischen
Staatengebietes, die Hochgebirgsnatur eines Theiles desselben schon an und für sich
schwerwiegende Hindernisse gegen die Ausbildung eines einheitlichen Volksthums. Der
geographische Zusammenhang mit dem Osten brachte unseren Gebieten die verschieden
artigsten Völkersplitter und schwere Kämpfe aller Art, welche die Culturarbeit gar oft
unterbrochen haben. Auch den Gegensatz der Klimate dürfen wir als einen Umstand
bezeichnen, welcher das Übergreifen der nördlichen Bevölkerungen nach Süden und damit
eiue nachhaltige ethnographische Verschmelzung von Nord und Süd wenigstens sehr
erschwert, wenn nicht verhindert hat.
Natur und Geschichte sind die beiden gleichwerthigen Faetoren, welche die ethno-
graphische Mannigfaltigkeit unserer Monarchie bedingten. Aus dem unabänderlichen
Walten der diese beiden Faetoren beherrschenden Gesetze ergab sich für Österreich-Ungar»
eine sociale Entwicklung, welche von jener der übrigen Staaten Europas vielfach abweicht.
Vom ethnographischen und socialpolitischen Standpunkte aus wird man diesen
Zustand der Dinge kaum bedauern können. Wir erblicken in dem Wettkampfe geistig
ebenbürtiger Nationalitäten ein untrügliches Anzeichen lebendiger Thätigkeit im Gesammt-
organismns und die sicherste Gewähr gegen die Erschlaffung, welcher vollkommen
assimilirte, weuu auch uoch so hochstehende Nationen so leicht verfallen. In dem unver-
fälschten Volksthnme unserer Nationalitäten ruht nicht blos ein reicher Schatz von
Idealismus uud von nachhaltiger Kraft, sondern auch eine Vielseitigkeit der Begabung,
welche die erfolgreiche Lösung der der österreichischen Monarchie im geschichtlichen Wett-
kampfe zufallenden Ausgaben verbürgt.
Versuchen wir min einen ganz summarische« Überblick über die Entwicklung der
Völkerverhältnisse auf dem Boden der österreichischen Länder zu gewinnen.