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des XVIII. Jahrhunderts anlegt. Darüber aber besteht kein Zweifel, daß seine Absichten
stets die edelsten gewesen sind. Schon die Mitwelt nannte ihn den Einzigen, die dankbare
Nachwelt aber verehrt in ihm den „Schätzer der Menschheit", der den Wiener Bürgern
Augarten und Prater eröffnete, den „barmherzigen Samaritan auf dem Thron", der als
Arzt an das Krankenlager der armen Witwe trat, den hilfreichen Freund der Bedrückten,
der im Controlorgange der Wiener Hofburg für jeden ihm anvertrauten Schmerz ein Wort
des Trostes und der Beruhigung fand, und den liebreichen Kaiser, der das Elend der letzten
Hütte seines Reiches zu lindern suchte und selbst in die Nacht der Verbrecherzelle hinabstieg,
um da, wo sonst das Mitleid versiegt, noch Erbarmen und Schonung walten zu lassen.
Im reifsten Lebensalter von 43 Jahren trat Josefs Bruder und Nachfolger,
Leopold II., bisher Großherzog von Toscana, aus den geordneten Verhältnissen eines
kleinen Staates in die chaotisch gewordenen Zustände eines Reiches, das von außen bedroht,
im Innern aufgewühlt und erschöpft war. Die Unruhen in Ungarn, den Abfall Belgiens,
die Fortdauer des Türkenkrieges, die Ungewißheit im Verhältnisse zu Preußen, die Rück-
wirkungen der französischen Revolution — trat er als schlimme Erbschaft an. Aber Leopold
zeigte bald, daß er der großen Aufgabe, die au ihn herantrat, gewachsen sei.
Die Reformen, welche seine fünfundzwanzigjährige Regierung in Toscana erfüllten,
zeigen auch ihn beeinflußt von den herrschenden Ideen der Zeit, die er sogar noch weiter
als Josef und consequeuter ausgebildet hat. Allein bei näherer Betrachtung läßt sich in
den politischen Principien Leopolds II. und Josefs II. ein bedeutender Unterschied nicht
verkennen. „Der Liberalismus Josefs war von einer politisch imperialistischen Natur,
der Liberalismus Leopolds hatte eine konstitutionelle Färbung." Wohl hatte Leopold in
Toscana als absoluter Herrscher regiert, weil es an einer Vertretung des Volkes in jenem
Lande überhaupt fehlte. Aber er hatte die Absicht, die von ihm daselbst durchgeführten
Reformen durch die Einführung einer ganz auf modernen Grundsätze-n fußenden Verfassung
zu krönen, und in der That hat sich ein derartiger Entwurf noch erhalten. Darum war er
auch mit Vielem, was unter Josef in Österreich, namentlich in Belgien geschah, nicht ein-
verstanden. „Es ist ein Glück", schreibt er an seine Schwester Maria Christine, „wenn ein
Land Stände und eine Constitution besitzt, an welcher das Volk hängt. In einem solchen
Lande bestehen zwischen Herrscher und Volk gegenseitige Verbindlichkeiten, die nur durch
Übereinkommen abgeändert werden können." In directem Gegensatze zu Josefs Regierungs-
inaximen setzt er hinzu, es sei nicht ersprießlich, dem Volke das Gute aufzuzwingen, wenn
es nicht selbst von dessen Nützlichkeit überzeugt sei. Ja in seinem sogenannten „Glaubens-
bekenntnisse" vom 25. Januar 1790 heißt es sogar: „Ich glaube, daß der Souverän, selbst
ein erblicher, nur der Delegirte und Beauftragte des Volkes sei, für welches er da ist, um
ihm alle seine Sorge und Arbeit zu widmen. Ich glaube, daß jedes Land ein Grundgesetz
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Übersichtsband, 1. Abteilung: Geschichtlicher Teil, Volume 3
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Übersichtsband, 1. Abteilung: Geschichtlicher Teil
- Volume
- 3
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1887
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.64 x 22.39 cm
- Pages
- 278
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch