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an den Formen klebenden, von dem schöpferischen Geiste unmittelbarer Naturforschnng
noch nicht berührten Scholasticismns bestand. Die Heilwissenschaft beruht auf Aberglauben,
die Chemie sucht die Geheimnisse der Goldmachern und des Steins der Weisen (Alchymie),
die Astronomie ist eine Ausgeburt der Phantasie und tritt in den Dienst der Wahrsagerei
(Astrologie). Die höchste Wissenschaft der Schulen ist eine haarspalterische Dialektik, eine
Form ohne Gehalt.
Am nüchternsten ist noch die Rechtswissenschaft, der Liebling unserer Universi-
täten, sowie die Geschichtschreibung. Schriftlich wurde letztere am meisten gepflegt,
allerdings in trockener, chronikartiger Manier. Ein Franciscaner, Namens Marens,
schrieb angeblich die mit Miniaturen verzierte sogenannte „Wiener Bilderchronik", ein
anderer Namens Johann, Dechant von Küküllö, die Geschichte seiner Zeit. Beide bedienten
sich der lateinischen Sprache, welche in jenem Zeitalter die alleinige Sprache der Wissenschaft
und der Urkunden war.
Die ungarische Geschichte besangen in ungarischer Sprache die „Hegedös" (Barden),
die später ihre Gesänge auch niederschrieben; sie tauchten als solche zur Zeit des Königs
Matthias auf und nahmen ihren Platz bei Gemein- und Hochadel und selbst an den
glänzenden Höfen des Königs und der Prälaten ein. Einer von diesen mag das ungarisch-
historische Lied von der „Belagerung von Szabäes" verfaßt haben. Diese Art Dichtung
entsprach am meisten dem Bildungsgrade und den Bedürfnissen des damaligen kriegerischen
und politisch aufgeweckten ungarischen Adels. Ebenso ist auf dem Gebiete der religiösen
Dichtung die Katharinenlegende ein Zeugniß von dem lebendigen Glauben, der die
Gesellschaft des Zeitalters des Königs Matthias beherrschte.
Die Chronik des Johannes Thnröczy: „Geschichte der Ungarn von den Hunnen
bis 1476" spricht schon zu gebildeteren Lesern in gelehrter lateinischer Sprache. Diese
Chronik kennzeichnet das Auftreten des weltlichen Elementes auf geistigem Gebiete sowie
die Einwirkung des Zeitalters, denn sie ist lebhafter und kräftiger geschrieben, als dies
bei den geistlichen Schriftstellern des vorhergehenden Jahrhunderts der Fall war.
Doch konnten auf diesem Gebiete die Ansprüche des Königs Matthias und des Hof-
clerus nur durch die italienischen Humanisten befriedigt werden, die als Vorleser, Erzieher,
Bibliothekare, Secretäre, Gesellschafter und Tischgenossen des Königs ihren ständigen
Aufenthalt am Hofe hatten.
Einer derselben, AntonBonfini, Hofgeschichtschreiber, verfaßte im Auftrag desKöuigs
die Geschichte Ungarns und der Herrschaft des Matthias. Er schrieb in kräftiger, dem
Livius abgelauschter lateinischer Sprache, mit lebhaftem Gefühl für das Charakteristische,
obgleich er mit seinen abergläubischen Ansichten noch in der supranaturalistischen Methode
des Mittelalters steckt.
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Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Übersichtsband, Ungarn (1), Volume 5
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Übersichtsband, Ungarn (1)
- Volume
- 5
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1888
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.41 x 22.5 cm
- Pages
- 532
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch