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Verkünder. Welche der beiden philologischen Parteien, die mittlerweile zn richtigen Lagern
angewachsen sind, irgend einmal siegreich bleiben werde, das ist noch immer ein Geheimniß
der Zuknnft. Ans dem bisherigen Verlauf des hochinteressanten Streites hat sich schon
einstweilen klar genug ergeben, daß die magyarische Sprache, als gleichfalls der großen
Familie der altaischen Sprachen angehörig, sowohl zur finnisch - ugrischen als znr
türkisch-tatarischen Sprachgrnppe in verwandtschaftlichem Verhältnisse steht. Die Frage
ist nur uoch, ob unsere Sprache ihrem Ursprnnge nach der finnisch-ugrischen Sprach-
grnppe angehöre, die türkisch-tatarische Verwandtschaft aber nur das Ergebniß späterer
Einwirkungen sei, oder ob sie umgekehrt türkisch-tatarischen Ursprunges sei uud die finnisch-
ugrische Verwandtschaft sich durch die erhaltende Berührung mit den hierher gehörigen
Sprachen gebildet habe. Übrigens ist es sogar noch denkbar, daß sich durch fernere
Forschungen eine dritte Möglichkeit Heransstellen werde, nämlich daß diese Sprache sich
ans dem gemeinsamen altaischen Stamme selbständig ausgesondert habe, als dritter Zweig,
der infolge von später eingetretenen geographischen nnd ethnographischen Verhältnissen
keine Nebenzweige treiben konnte. Keinen geringen Vorschub leistet dieser Annahme die in
der Entwicklung der magyarischen Sprache zu Tage tretende starke Selbständigkeit, deren
Macht alles Entlehnte vollständig dem Geiste der Sprache anzupassen vermocht hat nnd
vermag, und zwar selbst in phonetischer Hinsicht so sehr, daß nicht selten mir die allseitige
Zergliederung und höchst umsichtige Vergleichnug des Sprachforschers imstande ist festzu-
stellen, ob das eine und andere unserer Wörter urmagyarischer Abstammung oder nur eine
afsimilirte Entlehnung sei. Unbedingt fest steht also nur, daß die magyarische Sprache zu
den agglut inirenden Sprachen gehört und auch unter diesen eine derjenigen ist, bei
denen der Wortstamm und die modifieirenden Wortbeftaudtheile (Bilduugssilbeu, Flexions-
endungen) nach Form und Bedeutung aufs genaueste vou einander zu unterscheiden sind.
Ihrer individuellen Natur nach gehört die magyarische Sprache zu denjenigen,
welche den schönsten Klang, den vollkommensten Bau und die klarste Präcision des Aus-
druckes besitzen. Ihr eigeuthümlicher Wohllaut rührt nicht nur daher, daß sie sogar
literarisch vierzig rein articulirte Sprachlaute gebraucht, sondern auch daher, daß alle
diese Laute, iu so und so viele regelmäßige Aceorde zusammengefügt, sich zu Worten
gruppireu. Es ist uämlich eine der wesentlichsten Eigenthümlichkeiten dieser Sprache, daß
ihre Vocale in solche der hohen, tiefen und mittleren (leichten, schweren und
neutralen) Stufe zerfallen (e, S, 6, ü, ü, n, ä, o, 6, u, ü e, e, i, i), und daß in den
einfachen magyarischen Wörtern, mag nuu die Zahl ihrer Silben durch Bilduugssilbeu
und Flexionsendungen noch so groß werden, stets nnr Vocale der nämlichen Stufe
zusammentreffen können. Diesen großen und starren Gegensatz gleichen die mittelstufigen
Töne insofern ans, als sie sich zu hohen und tiefen Tönen gleicherweise gesellen dürfen
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Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Übersichtsband, Ungarn (1), Volume 5
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Übersichtsband, Ungarn (1)
- Volume
- 5
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1888
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.41 x 22.5 cm
- Pages
- 532
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch