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adelige Wittfrau konnte bei den Amtsneuwahlen (Restaurationen) mit den Männern
zusammen stimmen und den Töchtern sicherte das Gesetz einen Pslichttheil ans dem
väterlichen Erbe; bei den Szeklern konnte man die Tochter geradezu männlich erklären
lassen, wenn die Eltern keinen Sohn hatten, und ein solches Mädchen nannte man
(Sohntochter). Wer mit seiner Hand das Bein einer anständigen Frau antastete, wurde
schwer gestraft, und wer eiue Frau raubte, büßte es mit zwölf Stück Jungvieh.
Hingegen hatte das gefallene Mädchen schwere Buße zu bestehen, welche
kövLtvs" (Kirchenbuße) hieß; es stand dabei in der Kirchenthüre, einen Federnkranz auf
dem Haupte. Einer Frau von anstößigem Lebenswandel wurde das Haar abgeschnitten
und sie wurde gestäupt. Gegenwärtig behandelt man sie schon milder, doch geht die
Nachsicht keineswegs so weit, daß diese Art von Frauen eine eigene Welt (oder Halbwelt)
bilden könnte; in das gesellschaftliche Leben spielen sie öffentlich nicht hinein, wie in
manchen anderen Läudern. In einer kriegerischen Vergangenheit nahmen die Frauen au
der Männer Seite sogar au Schlachten theil, so z. B. bei der siegreichen Vertheidigung
von Erlau, daher es denn noch heute als Ehrentitel gilt, „ein Erlauer Weib" genannt zu
werden: heutigentags bewegt sich die öffentliche Wirksamkeit der Frauen in der Richtung
der Wohlthätigkeit und der weibliche Eifer findet in Kriegszeiten Aulaß, sich bei dem
humaueu Wirken des Rothen Kreuzes zu bethätigen.
Die Kindererziehung läßt sich der Magyare besonders angelegen sein; er schickt seine
Söhne uud Töchter zur Schule und nährt nnd kleidet sie gut; er ehrt und schätzt auch die
Volksschullehrer. Noch im erste« Drittel des Jahrhunderts bestand die Sitte, für die
Lehrer der Reihe nach in allen Häusern zu kochen, woraus ihnen das fertige Mahl durch
zwei Bettelstudenten (menckilcüs ckiäk) in einem großen Korbe an einer über die Schultern
gelegten Stange überbracht wurde; die ärmeren Hänser schössen das Erforderliche
zusammen: das eine lieferte die Knödel, das andere das gefüllte Krant, das dritte die
Pflaumentäschchen, je uach Übereinkunft. Dieser Brauch ist seither abgekommen und mau
bezahlt bar.
Man pflegt die Kinder auch in Tausch zu geben, indem man magyarische Knaben in
deutsche Ortschaften schickt, von wo man dafür deutsche iu die magyarischen Häuser
versetzt. An beiden Orten wird das Tauschkind wie ein Familienmitglied gehalten und so
entsteht häufig zwischen magyarischen und deutschen Tauschgeschwistern ein Band geistiger
Verwandtschaft und dauert lebenslang fort. Und dabei eignet sich jedes die nothwendige
fremde Sprache ohne alle Mühe an. Dieser Gebrauch ist auch jetzt noch überall im
Schwange.
Die Zusammengehörigkeit der Familien erstreckt sich manchmal auf eine ganze Stadt
oder gar auf das Eomitat, was mit einem lateinischen Worte nexus genannt wird.
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Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Übersichtsband, Ungarn (1), Volume 5
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Übersichtsband, Ungarn (1)
- Volume
- 5
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1888
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.41 x 22.5 cm
- Pages
- 532
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch