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Textes fiele, unser rhythmisches Gefühl unangenehm berühren würde. Der magyarische
Versbau hat seinen Ursprung im Volksthümlichen. Schon im XVI. Jahrhundert haben
Tinödi und seine Zeitgenossen ihn gepflegt, obgleich sie metrisch fehlerhafte Werke schrieben,
während sie die Angabe des Satzbaues pünktlich befolgten. Auch die besseren Volkslieder
unserer Zeit entsprechen diesen Anforderungen uud Fehler finden sich höchstens bei
unerfahrenen Poeten oder in solchen Texten, welche irgend einer beliebten Melodie
hinterher angepaßt wurden. Aus den magyarischen Choriamben folgt von selbst die
paarige Tactart der magyarischen Volkslieder. Ausnahmsweise finden sich zwar auch
unpaarige als fremde Beimischung, aber nur in gewissen rhythmischen Verhältnissen unter
die paarigen eingetheilt, selbständige unpaarige aber niemals. Alle diese Eigenheiten
haben ihren Ursprung in der Sprache, und welchen Einfluß diese auch auf das metrische,
rhythmische, ja melodische Schaffen hat, das beweisen die verwandten Sprachen, welche
mehr oder weniger verwandte Melodien hervorbringen.
Den Einfluß des Temperaments, die geographischen Unterschiede des politischen
Lebens, der religiösen und socialen Verhältnisse nachzuweisen, ist zwar leicht, fast unmöglich
aber ist es, den Entstehungsort der neueren Lieder zu bestimmen, da auch die Volkslieder
mit Dampfkraft in alle Winkel des Landes eingeführt werden. Was das Alföld singt,
dasselbe hören wir jetzt auch in den Karpathen, in den Szekler Alpen, an den Ufern vom
Plattensee und Neusiedlersee, in allen Richtungen der Windrose, höchstens mit einigen
Varianten, was der betreffenden Melodie bald zum Nutzen, bald zum Schaden gereicht.
Nach einer festgewurzelten Meinung ist die Stimmung unserer Musik und unserer
Volkslieder im Allgemeinen die des elegischen Leids, des tiefen Schmerzes, und wählt
daher naturgemäß eine Moll-Tonart mit erweiterten Secundestufen. Nicht nur Fremden ist
diese Eigenthümlichkeit unserer Musik aufgefallen, sondern sie ist auch in einigen
magyarischen Sprichwörtern erwähnt: „Weinend erlnstigt sich der Magyare"; —
„Traur ig ist das Lied des Magyaren wohl schon seit dreihundert Jahren." Was nun
das anbetrifft, kann es wohl schon seit einer viel längeren Frist traurig gewesen sein, doch
würde man sehr irren, wenn man alles dies im wörtlichen Sinne nehmen wollte. Denn
unserer Nation fehlt es durchaus nicht an heiteren Stimmungen. Ja sie ist sogar in
demselben Maße tobend in ihrer Freude als niedergeschlagen in ihrem Schmerze; an
Gründen dafür läßt es unsere Geschichte nicht fehlen.
Aus dem oben erwähnten Grunde kann man nun zwar keine geographische Übersicht
unserer neueren Volkslieder aufstellen und die fruchtbareren Gegenden bezeichnen, sowie
den Einfluß ihrer kirchlichen und socialen Verhältnisse abwägen: über die älteren jedoch
läßt sich, theils auf die Natur des Stoffes gestützt, theils mit Hilfe der Geschichte, in dieser
und jener Hinsicht eine sichere Meinung gewinnen.
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Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Übersichtsband, Ungarn (1), Volume 5
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Übersichtsband, Ungarn (1)
- Volume
- 5
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1888
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.41 x 22.5 cm
- Pages
- 532
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch