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Seide nie. Und ebenso verliert und vereinfacht das Weinblatt seine Farbe, indem es erst
braun, schließlich schwarz wird. Was den Kopfschleier betrifft, der das ganze Antlitz der
jungen Frau bedeckt, ohne es unsichtbar zu machen, so weicht er nach sechs bis acht Jahren
einem großen weißen Batisttuche, welches die Stirne und das halbe Kinn der Frau
verhüllt; dieses Tuch behält sie bis zu ihrem Tode, jedoch mit den Änderungen, daß sie in
dem Maße, wie sie älter wird, mit demselben nicht nur ihre ganze Stirne, sondern auch
deu Mund bedeckt, so daß nur Nase und Augen sichtbar bleiben. Dies mag aus
Gesundheitsrücksichten geschehen; ja es ist gewiß der Grund, denn nicht nur die Älteren,
auch die Jüngeren pflegen ihre Lunge unterwegs oder bei der Arbeit vor Staub und Luft
zu schützen. Es soll dies ein Überbleibsel türkischer Sitte sein, doch ist zu merken, daß die
Türken nur selten in diese Gegend gelangten, ihre Frauen aber gar nicht, welche diese
Mode bei dem modelosen Volke hätten heimisch machen können. Eher ließe sich die Sitte
auf die Katharer oder Patareuer und noch viel leichter auf die Bibel zurückführen, sammt
der ganzen weißen Kleidung und jenen Blumen, welche die Frauen auf dem Kirchgang in
ihren Händen tragen, was Alles an die Linnenkleider und Palmenzweige der Apokalypse
erinnert. So ist die ganze Tracht, mit einziger Ausnahme jenes rothen Schürzleins, weiß
und bleibt auch weiß. Zu bemerken ist noch, daß die Kirchenkleider durchaus bei keiner
anderen Gelegenheit (Unterhaltung, Jahrmarkt, Hochzeit) angethan werden.
Sogar ihre Trauer ist weiß und unterscheidet sich vom Festtagskleid nur darin, daß
statt der Batistleinwand ungebleichte Hausleinwand (der biblische „Sack") angelegt wird,
also das „räucherige", aber doch reine Gewand. Diese Trauer wird nicht nur in deu
Fällen, welche der Wortsinn bezeichnet, getragen. Trauer trägt, wessen Sohn oder Mann
beim Militär steht oder im Gefängniß sitzt. Trauer trägt von Kindesbeinen bis an sein
Ende Jeder, der mit einem augenfälligen Körpergebrechen behaftet ist. Ein solcher geht an
keinen öffentlichen Ort, mit Ausnahme der Kirche, mischt sich nicht in die Spiele der
Anderen und geht, wenn er ledig das dreißigste Jahr überschritten und auf die Ehe
verzichtet hat, zum Geistliche», damit dieser ihm „die Haube gebe" und in der Kirche in der
Reihe der Frauen zn sitzen gestatte. Bei diesem vielen Weiß müssen aber die Wangen
roth, das Haar schwarz und auch die Augenbrauen schwarz, und zwar bogenförmig sein,
sonst hat das Mädchen von Glück zu sagen, wenn es mit Flachshaar und Kornblumen-
augen nicht sitzen bleibt. Diese Eigenschaften sind auch nicht häufig, desto gewöhnlicher
aber sind neben schwarzem Auge und Haar milchweiße, zart röthliche Wangen. Sind letztere
nicht von der Natur freiwillig beigesteuert, so werden sie mittelst einiger Schminke
erzwungen. Wir haben bereits erwähnt, daß das Schicklichkeitsgefühl des Magyaren ihm
nicht gestattet, das Schlechte beim Namen zu nennen; in seinem Wörterbuch gibt es keine
Räuber, sondern arme Bursche, keiue Deserteurs, sondern „Geschorene", keinen Teufel,
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Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Übersichtsband, Ungarn (1), Volume 5
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Übersichtsband, Ungarn (1)
- Volume
- 5
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1888
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.41 x 22.5 cm
- Pages
- 532
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch