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Volk, wenn es eine „gute Richtung" einschlägt, die höchste Stufe der menschlichen
Entwicklung erreichen werde? Und darum zur Glückseligkeit des Vaterlandes gebricht es
nur an einer „guten Richtung"! Das Übrige ist vorhanden, uud es wird leben und
emporblühen das mir so theure, orientalische Volk!"
Das Volksleben an der Theiß.
Die Theiß ist der wahre Genius des ungarischen Volksstammes. Ihre Bedeutung
für das Volk, das sich an ihren Usern niederließ, ist noch größer, als die des Nil für seine
Uferbewohner. In ihrem langsamen, geschlängelten Gange verschlammt sie fortwährend
endlose Strecken, umso mehr, da ihre Ufer meistens viel niedriger sind, als daß sie dem
höheren Stande des Wassers Schranken setzen könnten; und wenn sie außergewöhnlich
steigt, überflutet sie weithin die Heide des Alsöld. Sie zerstört, aber sie befruchtet. Den
Schaden, welchen sie in einem Jahre anrichtet, bringt sie im nächsten Jahre zehnfach ein.
Sie ist eine leibhaftige hnndertbrüstige Isis-Göttin.
Wenn wir die Statistik aufmerksam prüfen, gelangen wir zur Überzeugung, daß die
ganze von der Theiß beherrschte Fläche von einem Volke rein magyarischen Idioms
bewohnt wird; hier findet sich der Kern des magyarischen Volksstammes, welcher die
Sprache am reinsten spricht, den Typus der orientalischen Physiognomie nnd Gestalt am
reinsten bewahrt hat. — Von allen ungarischen Flüssen wird die Theiß am häufigsten im
Volksliede besungen.
„Die Theiß ist heute trüb,
Ihre schmale Brücke nicht gut,
Geh nicht über sie, mein Lieb,
Sonst stürzest du in die Flut."
„Es kam an das Ufer der Theiß ein Kahn,
Drin liegt ein brauner Bursch' erschlagen;
Kommt, Mädchen, legen wir Purpur ihm an.
Wir wollen zum Busch ihn tragen,
Wo still das Vergißmeinnicht steht
Uud Träume ins Grab ihm weht."
„Die Theiß ist an Wasser reich,
Und keines wohl ist ihm gleich,
Drin schießen Karpfen und Hechte dahin
Und schöne Weibchen baden darin."
„Deine Mannhaftigkeit hat dieTheiß entführt." „Wer einmal getruuken das Wasser der Theiß,
Deß Herz sehnt nach ihr sich, hoch und heiß."
„Ruhig die Theiß dahin sich schlingt,
Dreimal selig, wer sie trinkt."
„Jenseits der Theiß, an Stromes Rand
Ist des ungrischen Burschen Land.
Wächst da schlank, wie Rohr so schneidig,
Gleich dem Rosmarin geschmeidig."
„Jenseits der Theiß, am Strom so breit,
Wächst die schöne uugrische Maid;
Schlank der Wuchs, nur zu umarmen
Roth der Mund vom Kuß, dem warmen."
„Jenseits der Theiß winkt ein Seidentuch, —
Kann nicht hinüber, Röschen, o Fluch!
Breit ist die Flut und darauf kein Nachen,
Kann nicht hinüber, was ist zu machen,
Täubchen mein!"
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (2), Volume 9
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Ungarn (2)
- Volume
- 9
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1891
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.56 x 21.98 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch