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Winter warm, im Sommer kühl; der Verbrecher kann sich also dort ruhig ausschlafen und
vor Allem auf keine Weise Heranskommen, bis er nicht vollgiltige Proben seiner
Zerknirschung und Nüchternheit gibt.
Die Abenddämmerung bringt eine viertelstündige Pause; Männer und Frauen gehen
heim, um einen Blick in ihre Wirthschaft zu werfen, aber nach dem Lichtanzünden geht
der Tanz wieder los. Um sieben Uhr folgt die Abendmahlzeit, doch setzen sich nur die
Alten zu Tische. Nach dem Mahle wird weitergetanzt. Gegen neun Uhr tritt der Braut-
führer vor den Beistand hin, mit den Worten:
„Ich melde Euch in aller Unterthänigkeit, daß draußen gewisse Fremdlinge stehen,
welche um Erlaubniß bitten, sicher eintreten zu dürfen."
„Haben sie einen Legitimationsbrief?"
„Ja wohl, mit Verlaub, hier ist er."
Der Beistand nimmt den Legitimationsbrief entgegen und liest ihn laut vor:
„Wir wandernde Türken kommen aus Amerika, in guter Absicht, und die Nacht
hat uns hier überfallen; möge es uns gestattet sein, in Euerem Hause auszuruhen, als
arme türkische Männer."
„Sie können eintreten", sagt der Beistand; der Brautführer eilt hinaus und führt
im nächsten Augenblicke die „Türken" herein.
Es sind gute Bekannte aus dem Orte, die aber nicht geladen wurden; Bursche oder
Knechte in Weibertracht, in umgestülpten Resten von Herrenkleidern, oder im Domino und
mit Larven, die sie aus Zuckerpapier improvisirt haben, mit langen Hanflocken, einen
zerknüllten Zylinderhut oder eine uralte Thurmhaube darauf, so daß sie ganz unkenntlich
sind. Sie verneigen sich vor dem Beistand, haschen sich dann ein Dirnchen und lassen es
tüchtig hopsen, und wenn sie zwei oder drei Tänze mitgetanzt haben, verneigen sie sich
wieder stumm und entfernen sich. Kein Mensch berührt ihre Larven.
Auch die Zigeuner leiden keinen Hunger; man sorgt gehörig dafür, daß sie satt
werden; nur die Feldflasche wird ihnen nicht überlassen, sonst halten sie es nicht bis zum
Morgen aus. Während die Musiker ihr Abendbrod einnehmen, besorgt der „Beistand
aus dem Bauat" oder der erste Brautführer die Unterhaltung. Er erzählt zum Beispiel
die klägliche Mähr, wie ihn seine Geliebte betrogen. Nun sei er entschlossen, sich durch Feuer
umzubringen. Er tritt also an den Tisch, steckt einen Lichtstumpfen an und verschlingt ihn.
Die Uneingeweihten wissen nicht, daß das Licht aus einem Apfel geschnitzt und der Docht
aus einem Nußkern gemacht ist. . . Oder er lehrt seine Brautführergenossen das Kürschner-
handwerk. Er setzt sich mitten in die Stube auf einen Stuhl und heißt die anderen zwei
Brautführer sich rechts und links aufstellen, jeder mit einer Ruthe von Armeslänge in der
Hand. Mit dieser Ruthe dürfen sie dem Meister auf die Hand klopfen, so oft dieser dem
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (2), Volume 9
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Ungarn (2)
- Volume
- 9
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1891
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.56 x 21.98 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch