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ist es ein Mädchen, so sieht man einen ganzen Berg geschenkter Seidentücher darüber
gebreitet, damit das Pathchen, wenn es einmal so weit ist, viele Freier habe. Das oberste
und längste Seidentuch kann der Länge und der Quere nach gelegt sein, je nachdem es
einen Buben oder ein Mädchen bedeckt. Selbstverständlich tragen die Pathinnen den vollsten
Putz, dessen die Volkstracht der Gegend fähig ist. An vielen Orten ist es der Tauspathe,
der den männlichen Säugling über den Taufbrunnen hält.
Der Name ist voraus bestimmt und, obgleich die Namen aus der ungarischen
Geschichte immer mehr Raum gewinnen, läßt doch das Volk, wie es nuu einmal am Alten
hängt, „nicht auf irgend einen kuriosen Namen" taufen. Die Protestanten holten sich,
besonders in älterer Zeit, aus dem alten Testamente die urgewöhnlichsten Namen, wie
Jeremias, Japhet, Dina; dennoch sind im Allgemeinen bei allen Consessionen die Namen
aus dem Evangelium die häufigsten: Josef, Johann, Stephan, Paul, Elisabeth, Maria,
Magdaleua. Die Kirche selbst wachte darüber, daß ungewohnte Namen nicht unnöthig in
Umlauf gelangten, und wenn etwa die Hebamme das Wort „Apollonia" wisperte, klang
es in der lauten Wiederholung des Geistlichen „Sarah".
Auf dem Rückweg von der Taufe halteu die Gevattersleute vor der Küchenthüre an,
wo eine alte Frau sie empfängt: „Was bringt ihr?" — „Ein unschuldig Lämmchen, die
Freude des Tages, die Ruhe der Nacht", antworten die Pathinnen, indem sie das Kind
seiner Mutter übergeben, die es küßt und iu die Arme des Vaters legt. Von da aus macht
es nun die Rundreise von Arm zu Arm, von Kuß zu Kuß, bis es endlich aus der Hand
der Hebamme wieder dorthin gelangt, wo es am besten aufgehoben ist.
Das Tauffest ist von zweierlei Art. Entweder es ist ein eigentliches Taufmahl und
besteht aus einem gleich nach der Taufe aufgetragenen, kurzen Frühstück, an dem nur die
Gevatterinueu theilnehmen. Kein Mann darf dabei zugegen sein und es wagt auch keiner
einzutreten, denn er weiß, daß man ihm sofort seinen Hut pfändet, den er dann förmlich
auslösen muß. Oder man bereitet einen festlicheren Taufschmaus, der «ach völliger
Genesung der Mutter, oft erst nach zwei oder drei Monaten, in Gesellschaft der eingeladenen
Gevattern, Gevatterinnen und näheren Verwandten unter fröhlicher Musik begangen wird.
Ein solcher Schmaus dauert gewöhnlich bis Mitternacht und gar manchesmal klingt das
Glas an, auf das Wohl des Kleinen: „Bon Elisabeth gemeldet, von Maria empfangen,
von Josef genährt, mein süßes Kind Jesus, laß dieses Kleine wachsen!" sagt die Taus-
pathiu, — „Von Abraham verkündet, von David gesungen, von Johannes getauft, meiu
süßer Jesus, bekehre dieses Kind zur Taufe!" (Szegedin.) Beim Fortgehen küssen die
Gevatterinnen die Gevatterin der Reihe nach, wobei sie ihr dem Patheukiude Zugedachtes
an Banknoten oder Silbergeld geschickt unter das Kopfkissen der Mutter prakticiren; auch
eiu uach Belieben bemessenes Geschenk für die Hebamme wird hinzugefügt.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (2), Volume 9
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Ungarn (2)
- Volume
- 9
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1891
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.56 x 21.98 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch