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Doch steht es nur der Gattin oder Mntter zu, ihre Klage sv in Liedesform zu
kleideu. Die jüngeren Frauen und die Mädcheu schluchzen still vor sich hin, die Mänuer
steheu barhäuptig, mit verhülltem Gesicht am Kopfende des Sarges.
Nicht selten flechten sich in den Klagegesang Sprichwörter und gauze Volkslieder-
strophen. So erschallt nm einen Jüngling, der schlimm geendet, die Selbstanklage der
Mutter:
„Deine Mutter war ich, Warst ei» biegsam Zweiglein,
Hab' dich nicht erzogen, — ^ Hab' dich nicht gebogen. . ."
Nachdem der Abschieds- und Trauergesaug verklungen, setzt sich das Leichengefolge
vom Hofe ans in Bewegung. Die nächsten Verwandten heben den Todten auf, wobei sie
besouders darauf achten, daß er nicht mit dem Kopfe, sondern mit den Füßen voraus
hinweggetragen wird. Eine ganze Schar Sängerknaben und Schulkinder geht voran,
ihnen folgt das geistliche Personal, diesem der Todteuwagen, dem die Trauernden, die
Frauen mit verhülltem Gesicht, die Männer mit abgenommenem Hute, folgen. Hinterdrein
wogt das Gedränge des Publikums; meist ist die Zahl derer, die die letzte Ehre erweisen,
stattlich, ja sehr beträchtlich, zuweilen strömen ganze Volksmengen zusammen. Selbst das
ärmlichste, verborgeuste oder verschollenste Lebeu erhält in Ungarn Dank der allgemeinen
Pietät die letzte Weihe eines ansehnlichen Todtengesolges. Man geht mit bis ans Grab
und verweilt dort, bis das Holzkreuz eingesetzt ist. In der Regel schlägt der Leichenzug,
selbst wenn es einen großen Umweg kostet, die Hauptstraße« ein. Wenu man das Grab
verläßt, geht man nicht gleich nach Hause, sondern zerstreut sich im Friedhofe, Jeder sucht
seine eigenen Todten auf uud neigt sich auf ihr Kreuz nieder, um mit ihrem Stanbe stille
Zwiefprach zu halteu.
Ein Bursche wird durch Burscheu, ein Mädchen (im blaue» Sarge) vou Mädcheu
uud Burschen abwechselnd anf die Arme oder hier und da auf die Schultern gehoben, auf
„Sanct Michaels Rößlein" (volksthümlich für „Tvdtenbahre") hinausgetragen. Den
Musikanten ehren seine Banda-Genossen mit eiuer Trauermusik.
Wie bei Hochzeiten, so liebt man auch bei Begräbnissen den Prunk. Vom Spital
oder vou der Todteukammer aus bestattet zu werde», wäre jedem ein entsetzlicher Gedanke.
Selbst im ärmste» Hause wird der Todte aus einem reinlichen, geschmückten Katafalk
ausgestreckt nnd bekommt seine Nachtwachen. Wie die Braut, sv uimmt auch der Todte
seiue Ausstattung mit sich. Sammtdecken, kupferne oder silberne Buchstabennägel, die
kirchliche Assistenz, die Sängerknaben, der Abschiedsgesang, dessen Sänger (der Kautor)
an manchen Orten für die namentliche Erwähnung jeder einzelnen Person einen Gulden
gutes Geld bekommt, der Leichenwagen mit seinen prächtig behangene» Pferde», die Grüfte,
Grabsätile», kunstvollen Kreuze und Statuen, das Alles vertheuert die Trauer, aber das
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (2), Volume 9
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Ungarn (2)
- Volume
- 9
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1891
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.56 x 21.98 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch