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Hakenstock. Fälle von Wegelagerei, Raubauschlägeu, Raubmord und rohem Blutvergießen
sind auf dem Gebiete der Alföld-Magyaren am seltensten. Der Fremde, wenn er diesen
wortkargen, ernsten, braungebeizten Leuten unterwegs begegnet, wie sie in ihrem
nmgewendeten Suba-Pelz die Straße entlang schlendern oder ans leichtem Dreigespanne,
ans raschem Rößlein ihm entgegenjagen, ließe sichs nicht entfernt träumen, mit welcher
Freundlichkeit sie den Fremden in ihrem Hause oder an ihrem Pferch empfangen und
mit welcher Sicherheit er unter ihnen reisen kann. Auf dieser großen Ebene betreibe»
höchstens die Schäferhunde berufsmäßige Wegelagerei.
Arbeit. — Bei der Arbeit helfen sich die Magyaren gerne gegenseitig aus. Bei
Bauarbeiten darf Jedermann füglich nicht nur auf seine Verwandten und sämmtliche
Bekannten, sondern selbst auf Leute rechne», mit denen er im „Zorn" lebt, kurz das ganze
Dorf hilft ihm, wofür die Sprache sogar mehrere eigene Ausdrücke hat. Das ist eine
Pflicht, die Jedermann ebenso unweigerlich erfüllt als die des Wasserholens und Löschens
bei einer Feuersbrunst. Den Lohn für solche Hilfe bildet nach gethaner Arbeit eiu kleiner
Weihetruuk (älckomäs), zuweilen ein „Schönen Dank!", worauf der, mit dem mau im Zoru
lebt, entgegnet: „Gern geschehen, Gevatter, schasst ein andermal, unseren Zorn können wir
ja bei alledem behalten."
Gewisse Arbeiten gelten als Unterhaltung und Feiertagsbeschäftigung. So das
Knkuruzschleißeu, das als allgemeines Stelldichein für Dirnen und Bursche dient nnd von
Dämmerung bis Mitternacht dauert, uuter Lied uud Scherz, Märchen uud rotheu Mais-
kolben, für die man einen Kuß zu kriege« hat. So geht das fort vou Tag zu Tag, ja vou
Woche zu Woche. In Moudscheiuuächteu geht es aus Haufbrecheu, dessen Getöse aber der
Bnrsche, der draußen die Pferde hüten muß, uur vou weitem hört. Dann gibt es die
Spiunstube, wo die Lieder entstehen, wo die Märchen, Sagen, Legenden wachsen und
sich verbreite«, sprechende Beweise mancher seltenen Begabung für Erfindung und Vortrag,
uud wo man eiueu angezündete» Wergknäuel, der in die Luft geworfen wird, in Heirats-
sachen befragt. Flammt der Werg noch in der Luft so auf, daß er verbreuut, dauu ist die
Hochzeit gewiß, fällt er jedoch breuueud zu Bodeu, dauu heißt es weiter warteu. Hurtig
rühreu sich die Finger, in dichten Spiralen läuft der Fadeu die kreiseude Spindel hinan,
uud es trifft sich mitunter, daß eine übermüthige Dirne anch das lange Haar des verliebten
Burschen in den Faden hineindreht, — doch daran ist der Bursche schuld, was hat seiu
Haar dort zu suchen?
An vielen Orten liegt auch die Bewachung des Weingartens den Mädchen ob.
Sobald die Traube« zu reisen beginnen, verläßt das gesammte Mädchenvolk das Dorf nnd
begibt sich hinaas auf de« Weinberg, nm dort zn backen, zn kochen, mit großem Geschrei
die Staare zu schrecke» und so den Weingarten bis zur Lese zu bewacheu.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (2), Volume 9
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Ungarn (2)
- Volume
- 9
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1891
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.56 x 21.98 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch