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Gebieten, bedeutende Begünstigungen zu Theil werden ließen, wurden dieselben doch nach
uud nach ganz sich selbst überlassen und die Gemeinden verwalteten ihre inneren und
äußereu Angelegenheiten meistens gemeinsam. So entstand das „Baueru-Eomitat". Der
Stadtrichter entschied die kleineren Händel der einzelnen Bürger selbständig, die wichtigeren
aber und die inneren Angelegenheiten der Gemeinde im Einvernehmen mit dem Stadtrath;
dagegen urtheilte in Kriminal- und Kapitalsachen ein Gerichtshof, der nach Art eines
Schwurgerichtes aus sogenannten „aufgegriffenen Richtern" (Lcmvocati) zusammengesetzt
war. Der Gerichtshof der aufgegriffenen Richter wurde in der Weise gebildet, daß zum
Beispiel der Richter von Keeskemet die Rathsrichter der umliegenden Ortschaften, wenn
sie etwa auf den Kecskemeter Markt hereingekommen waren, zusammenberief und ihnen
die wichtigeren Angelegenheiten vorlegte, damit sie ihr Urtheil darüber abgäben. Die
Convocaten-Richter urtheilten in Civil- und Kriminalfällen von größerem Interesse, so
in Erbsachen oder in Strafsachen als Diebstahl, Raub, Mord; der Jueulpat wurde meist
in den Block gelegt oder mußte öffentlich Buße thun, oder eine Geldstrafe(„Znngenlösung")
erlegen, oder wurde aus der Stadt gewiesen, oder auch der türkischen Polizei übergeben.
Die geschworenen Richter von Keeskemet, Nagy-Körös und Czegled urtheilen unter der
Bezeichnung: „Gerichtshof der drei Städte"; es kommt jedoch vor, daß die im Orte
ansässigen Richter an der Fällung des Urtheils gar nicht Theil nehmen, so daß, wenn es
sich zum Beispiel nm das Capitalverbrechen eines Czegleder Bürgers handelt, nur Richter
von Keeskemet, Körös, Szabadszällas, kurz aus drei oder vier anderen Gemeinden das
Urtheil fällen. Oft wurde das Urtheil auch gleich vollstreckt, in anderen Fällen aber durch
das Comitat fuperrevidirt. Es ist interessant, daß die Convocaten-Richter sich lieber auf die
Bibel, als auf das Landesgesetz, meistens aber auf ihr eigenes Gewissen berufen. Doch
das starke Bewußtsein der Nationalität strebt gleichsam die Strafe zu mildern und die
„aufgegriffenen Richter" erwähnen als Grund zur Milderung des Urtheils häufig den
„verrotteten Zustand unseres Vaterlandes" oder die Plackereien der „fremden Nation"
(der Türken). Und diese weisen Bestimmungen wurden meistens nicht durch studirte,
gesetzeskundige Männer, sondern durch einfache Ackerbauer geschaffen, welche selber die
sichersten Hüter und Erhalter von Ordnung und Rechtspflege waren.
Nur ein so starker Gerechtigkeitssinn, so puritanische Sitte und berechnender
Verstand konnten die Bevölkerung der verbündeten „drei Städte" erhalten, welche auch
die Einwohner der zerstörten Nachbardörfer in sich aufsog, um durch sie ihre materielle
uud geistige Kraft zu stärken. Diese Charakterzüge wurden noch vervollständigt durch eine
tiefe Religiöfität, welche dennoch eine erstaunliche Duldsamkeit gegenüber den Anders-
gläubigen zuließ. Czegled und Nagy-Körös nahmen gleich am Anfang der Reformation
die Lehren Calvins an. Ein Theil von Keeskemet, ungefähr ein Drittel, bekannte sich
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (2), Volume 9
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Ungarn (2)
- Volume
- 9
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1891
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.56 x 21.98 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch