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vorhanden, unausrottbar aber ist noch immer der Waldboden, den man jetzt nach allen
Richtungen meilenweit von Akazienreihen, welche die Wege einfassen, durchzogen sieht.
Das Volk da ist, wie ja der Magyare überall, gastfrei. Kirchweih, Hochzeit, Kinds-
tanse, Leichenschmaus, Schweineschlachten, das sind alles Anlässe zu freundschaftlicher
Zusammenkunft. Aber anch der fahrende Gast hat keinen Gruud zur Klage. Und bei solchen
Gelegenheiten weiß dann die Hausfrau sich auszuzeichnen. „Wer nicht gegessen, was die
Frau am Theißufer gekocht uud gebraten, der weiß gar nicht, was gut ist; selbst der König
darf das essen", so lautet ein Sprichwort.
Der Alsöld-Mensch ist ernsthaft, aber bei seinen Unterhaltungen nichts als Herz. Es
ist viel aristokratischer Sinn in diesem großmüthigen, zu jedem Opfer bereiten Volke. Gern
macht es Anderen eine Freude, es duldet keiue fremde Traurigkeit neben sich und bemerkt
gar nicht, daß es selber bei diesem Bestreben immer tiefer in das Meer seiner Empfindsamkeit
versinkt und sich immer traurigere Lieder aufspielen läßt. Die Unterhaltungen der Jugend
sind fröhlicher und lärmender. Dabei geschieht es zuweilen leicht, daß die beiden Anführer
des jungen Volkes einander zum Kampfe fordern. Die Welt soll es wissen, „wer der
Bursch ist in der Csärda", — wie die allbekannte Redensart geht. Die jungen Leute der
dickschädligeu Matyös raufen gern. Das untere und das obere Ende von Kövesd führen
noch jetzt, wie früher, ganze Feldzüge mit blutigen Schlachte» gegen einander. Der Tanz
ist bei den jungen Leuten beiderlei Geschlechts sehr beliebt. Zuweilen huldigen ihm auch
die älteren, sind sie doch die Einzigen, die noch das Werber-Solo (verdunkos) zu tanzen
verstehen. Übrigens herrscht im Volke Gottesfurcht uud gute Sitte. Es gibt keine frömmeren
Katholiken als die an der Theiß. Ihre Wände sind ganz behängen mit Heiligenbildern.
Alle tragen Gebetbuch und Rosenkranz und besuchen nicht nur ihre eigene Kirche, sondern
wallfahrten selbst in ferne Gegenden. Auch die Männer bekunden vielen Eifer. Der
Matyö geht ohne Hut zum heiligen Bruuueu. Dann lesen oder hören sie gerne etwas aus
dem Leben der Heiligen. Die Calvinisten sind mehr im östlichen Theile verbreitet. Sie
sind rein magyarisch, freiheitsliebend und meistens adelig. Sie hängen sehr an ihrer
Religion und besonders zäh an ihrer Überzeugung („hart von Genick"). In religiöse
Andacht versenken sich mehr die Weiber. Die Bibel ist bei ihnen ein Familienschatz.
Diebstahl ist selten uud die Höfe siud gewöhnlich nicht einmal umzäunt. Ein Mädchen,
das einen Fehltritt begangen, wird durch die öffentliche Meinung an den Pranger des
Liedes gestellt, — zu abschreckendem Exempel. Das Theißvolk ist ferner aufrichtig und
offenherzig. Auch am Ufer des Sajö fehlt diese magyarische Tugend nicht, aber dort ist
man eingebildeter, räsonnirlnstiger und weniger leichtgläubig. Dort glaubt man dem
Herrn Gevatter nur „gebunden", das heißt nicht so aufs Wort. Und dort kommt auch das
bezeichnende Sprichwort vor: „Man fängt den Vogel, wie man kann."
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (2), Volume 9
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Ungarn (2)
- Volume
- 9
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1891
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.56 x 21.98 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch