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Gegenden Ungarns verbreitet. Ihr Grunddogma ist ungefähr identisch mit dem der
Anabaptisten, nämlich in Bezug auf die Taufe der Erwachsenen und darin, daß der Mensch
dnrch Glauben und Werke, besonders aber durch den Glanben, dessen Urheber der heilige
Geist sei, gerechtfertigt werde. „Wahre Gläubige" können nur die Mitglieder der „Heiligen
Versammlung" werden, welche Gottes Wort nicht nur keuueu, souderu auch dauach lebe«.
Die Nazareuer erkennen die Berechtigung des Priesterthums uicht an, insofern sie auf der
Grundlage des Princips des allgemeinen Priesterthums steheu, und bei ihren religiösen
Zusammenkünften leitet, wie bei den Qnäkern, Derjenige, über den der heilige Geist
kommt, den Gottesdienst und predigt der Versammlung. Die Taufe der Kinder betrachten
sie als vollkommen nnnütz, da nach ihrer Ansicht nur Jemand, der sich seines Glaubens
bewußt ist, getauft werdeu kaun. Sie kennen außer dem Sonntag keinerlei Feiertag nnd
halten nur wöchentlich zweimal einen gemeinsamen Gottesdienst ab, dem aber anch die
ganze Gemeinde ohne Ausnahme beiwohnt. Lüge, Betrug, Diebstahl und Todtschlag
werden für schwere Sünden gehalten; daher gibt es sehr viele Fälle, daß ein Gläubiger,
der, als er uoch nicht in der Reihe der Gläubigen stand, Jemanden bestohlen oder betrogen
hatte, den damals verursachten Schaden freiwillig wieder gilt macht; anderseits freilich
geben uazareuische Rekruten dadurch zu schaffen, daß sie sich standhaft weigern, eine Mord-
waffe zu berühren. Wollen sie etwas nicht aussagen und können doch nicht umhin, eine
Antwort zu geben, so helfen sie sich, um nicht in Lüge zu verfallen, dnrch so spitzfindig
krause, mit biblischen Citaten vermischte Reden, daß daraus wahrlich keiu Mensch klug
wird. Diesen Kniff wenden sie besonders an, wenn sie über solche Glaubeusgruudsätze
befragt werden, über die sie sich selbst nicht klar sind, oder die sie Uneingeweihten nicht
gerne mittheilen möchten. In ihrer äußeren Erscheinnng sind sie nngemein demüthig, sie
gehen stets mit gesenkten Angen und in möglichst einfacher Kleidung umher, so daß man
sie schon daran überall erkennt. Ab und zu schicken sie auch „Apostel" aus, besonders wenn
sie hören, daß irgendwo Jemand sich günstig über sie geäußert habe und vielleicht sogar
geneigt wäre, in ihre Gemeinschaft einzutreten. Wer dauu als Apostel ausgesendet wird,
muß ungesäumt aufbrechen und darf vor keinerlei Schwierigkeiten zurückschrecken. Um aber
den Zweck seiner Sendnng zu erreichen, ist er verpflichtet, die größten Entbehrungen uud
alle Unbill und Demüthigung geduldig zu tragen. Man darf jedoch nicht etwa glanben,
daß sie Jemanden so leichthin als Gläubigen ansnehmen, denn auch wer sich bekehrt, wird
erst noch mancherlei Proben unterworfen, ehe er eudgiltig iu die Reihe der Gläubige»
aufgenommen wird. Diejenigen, die sich schon bekehrt haben, allein noch nicht in die
Versammlung aufgenommen sind, heißen „Reisende". Diese Reisenden dürfen vorderhand
nur gewissen Theilen des Gottesdienstes beiwohnen uud sitzen nicht in einer Reihe mit
den Gläubigen, sondern auf einer abgesonderten Bank. Besonders streng werden die
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (2), Volume 9
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Ungarn (2)
- Volume
- 9
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1891
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.56 x 21.98 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch