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bedächtig die Pfeife rauchend, scheinen sie nur zu bummeln; denn es gibt da kein Lärmen
und Geschrei wie an der Börse, in der That aber machen sie eifrig Geschäfte. Und so
vielerlei Handelsgeschäfte es auch geben mag, Alles wird da abgemacht, in der einen
„Casino-Stunde". Die Szegediner Bauernbörse ist vielleicht älter als die wirklichen
Börsen, nur ist sie dem ungarischen Temperament angemessen.
Die Auswüchse des Geschäftsgeistes, Betrug und Schwindel, haben hier niemals
Wurzel gefaßt, noch jetzt borgen die Söhne des Volkes Geld auf deu guten Namen und
das gegebene Wort gilt als Schuldschein. Es ist ein reiner Zufall, daß der weltbekannte
Straßenräuber Rözsa Sandor ein „Hiesiger" ist. Hier und in der Umgebung führte der
überflüssig verherrlichte Held der Räuberromautik seine haarsträubenden Anschläge und
empörenden Unthaten aus, hier verbüßte er später auch seine Strafe in einem Kerker der
Festung, von welchem Jahrhunderte lang die Prophezeihnng bestand, daß einst darin ein
König Hausen werde . . . Und siehe, der König der Betyären hat darin gehaust.
Das nationale Erwachen und die Reformideeu haben in den Vierziger-Jahren auch
Szegediu erwärmt. Um diese Zeit beginnt das zweite Emporsteigen Szegedins aus jener
elenden Lage, in welche es durch die Türkenherrschaft und die nach dieser eingetretene
Erstarrung gelangt war. Wahrlich, es blühte nichts Anderes mehr als im Frühjahr die
unbändige Theiß, wenn ungezählte Schwärme von Eintagsfliegen sich auf ihren Wellen
tummeln und umhertreiben. Die Spuren der Cultur sind verwischt. Selbst die Stadt ist
gleichsam nur ausgesteckt, indem einzelne Häuschen (zur Hälfte nur Erdhütten) auf dem
unabsehbaren Gebiete ihre Lage bezeichnen. Ein hübscheres Gebäude kommt selten vor;
das Käräsz'sche Haus und der Sitz der städtischen Behörden bilden den Stolz der Stadt,
aber auch diese kommen kaum irgend einem stattlicheren dörflichen Kastell gleich. In den
Häusern findet man vielleicht auf diesem oder jenem Kleiderschranke die Werke des Andreas
Dngonics oder des Vedres, welche Söhne der Stadt sind. Die Malerkunst keimt man nur
aus den Sudeleien der dortigen Pfuscher. Kunstgegenstände gibt es keine, außer einem von
König Matthias geschenkten Kirchengewand, das in der Kirche der Unterstadt gezeigt wird
und einmal auf 60.000 Thaler geschätzt worden ist. Höchstens fände sich noch hier und
dort in einer Schublade verworfen ein werthvoller archäologischer Gegenstand, der anf
dem Öthalon (fünf Hügel), noch in der Gemarkung der Stadt, gefunden wurde.
Die von der Pester Universität heimkehrenden Jünglinge verbreiten hier die neuen
Ideen, die freisinnige Luftströmung des Reichstages vom Jahre 1843, die Reformpläne
Stefan Szichenyis. Unter dem Einfluß derselben erwacht die Stadt zum Bewußtsein und
geht mit fieberhafter Hast daran, die Versäumnisse von Jahrhunderten nachzuholen. Mit
wunderbarer Schnelligkeit nimmt sie ihren Aufschwung: Casinos und Vereine werden
gegründet, ein Spital gebaut, das veruachläßigte Unterrichtswesen gehoben, der frische
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (2), Volume 9
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Ungarn (2)
- Volume
- 9
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1891
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.56 x 21.98 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch