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Der Tisch wird drei Tage lang nicht abgedeckt nnd ebenso lange die Stube nicht
gefegt. Gäste sind willkommen. Und bis Neujahr bleibt der allgemeine Gruß: „Christus
ist geboren", und die Erwiederung: „Wahrlich, er ist geboren".
Palmsonntag (eveti), wo die Natur ihr Winterkleid abzuwerfen beginnt, ist bei
den Serben ein charakteristisches Fest. Am Abend vorher versammeln sich die Mädchen
und singen von der Erweckuug des Lazarus. Deu anderen Tag kommen sie vor Sonnen-
aufgang im Freien zusammen, singen, baden im Flusse, tanzen den Kolo und sind überzeugt,
daß eben jetzt die Vilas, welche die Wälder bevölkern, ihre Verstecke verlassen und, den
Sterblichen unhörbar nnd uusichtbar, bei Musik uud Tanz sich ergehen. Das geheimniß-
volle Waldesrauschen ist ihre Sprache, das Geriesel der Bäche ihr Geplander, der Duft
der Gräser und Blumen ihr Odem. Nur wer in einer Hülle geboren ist (vilovnMk), kann
diese Feensachen hören uud sehen. Dieses Fest bedeutet bei den Serben die Erneuerung
der Natnr.
Dieselbe Beziehung hat auch der Volksbrauch am St. Georgstage (vM'ch'ev <Zan).
Abends pflücken die Frauen Blumen uud Pflanzen und legen fie in Wasser, das über das
Mühlrad gelaufen ist. In diesem aufgefangenen Wasser baden sie am nächsten Tage nnd
glauben davon gesund zu bleiben.
Das zweite große Fest nach Weihnacht ist das Osterfest (uskrs). Den Beginn
desselben bezeichnet der Augenblick, wenn der Priester in der Kirche früh Morgens den
Gläubigen zuruft: „Xristos voskrese" (Christus ist auferstanden), worauf sie erwiedern:
,Va islinu voskrese!« (Wahrlich, er ist auferstanden!) Die Versammelten schenken sich
rothe Eier und schlagen dieselben aneinander; das zerbrochene Ei gehört dem, der es mit
dem seinen zerschlagen hat, und er zieht daraus auch einen Schluß auf sein langes Leben.
Am zweiten Ostermorgen ziehen die serbischen Burschen scharenweise, meist von Dudelsack
uud Tambnra begleitet, von Haus zu Haus, die Mädchen zu begießeu. Zudem sie ins
Haus treten, spricht eiuer der Burschen folgendermaßen: „Wir hörten, lieber Vetter (oder
Mnhme), daß in Enrem Blumengarten eine schöne Lilie (oder Rose) blühe, nun aber
verwelken will. Wir kommen also, die schöne Blume zu begießeu, wozu wir Eure gütige
Erlaubniß hiermit höflichst erbitten". Der Hausherr oder die Hausfrau antwortet hierauf:
„Wir danken Ench vom Herzen, liebe Jnngen, daß Ihr auf unser Blümlein nicht vergessen;
doch dünkt uns, es blühe gar hold und fein. Indeß seht selber zu, dort ist es, uud wenns
Euch nicht verdrießt, begießt es!" Die Mädchen kommen hervor und sagen: „Eh' ich mich
begießen lasse, lös' ich mich lieber aus". Das Lösegeld besteht in Küssen und rothen Eiern.
Während die Burschen die Mädcheu begießeu, bestellt die Hausfrau den Tisch mit
Pflaumenbranntwein, Kuchen uud rothe» Eieru; die Burscheu setzen sich auch alsbald hiu
und lassen sichs schmecken. Dann folgt der Kolo — und weiter gehts zn anderen Mädchen.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (2), Volume 9
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Ungarn (2)
- Volume
- 9
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1891
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.56 x 21.98 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch