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insofern interessant, als sie beweisen, wie sehr der elassicisirende Geschmack den am Anfang
dieses Jahrhunderts beginnenden Neubau Budapests beherrschte. Und während Wien sein
bauliches Gepräge durch die in großen Verhältnissen angelegten, prächtig durchgeführten
Barockbanten erhält, sind die über etwa hundert Jahre jüngeren Baudenkmäler des alten
Pest phantasielose, trockene, schlichte Gebäude classieisireuder Art.
Ein Bauwerk besitzt Budapest, das, obgleich aus der nämlichen Zeit stammend, wie die
Mehrzahl der eben angeführten, sich von ihnen durchaus unterscheidet. Dies ist die Ketten-
brücke. Ihr Bau, nach den Plänen des englischen Ingenieurs William Tierney Clark,
wurde 1838 begonnen und 1848 beendigt. Seit dem 20. November 1849 dient dieses zu
überwiegend praktischen Zwecken errichtete Meisterwerk der Baukunst ohne Störung dem
allgemeinen Verkehr. Schlank und mit der majestätischen Ruhe der Festigkeit rageu aus
dem Strombett, zwei Felsen vergleichbar, die Pfeiler auf, an denen die beiden Riesen-
ketten, Ufer mit Ufer verbindend, aufgehängt sind. Die im Ganzen und bis in die geringste
Einzelheit vernünftige, eorreete Bildung der Brückenköpfe wie der Pfeiler steht im vollen
Einklang mit der technischen Eonstruction und verleiht ihr klaren Ausdruck. Und auch in
die von der Natur gegebenen gewaltigen Verhältnisse der Örtlichkeit fügt sich das innerlich
so harmonische Gebilde bewunderungswürdig ein. So entsteht eine zweite Harmonie, die
mit der Umgebung, und die Brücke verknüpft die Donau, ihre beiden Ufer, die Massen der
Gebäude zu einem einheitlichen, harmonischen Ganzen, sie bildet den bezeichnendsten
Charakterzug der beiden Städte. Die in den Ketten liegende Kraft und die Erhabenheit
der Wirkung dieser mit der Umgebung übereinstimmenden Verhältnisse und Formen sind
gleichsam symbolisirt durch die rechts und links der Brückenköpfe auf hohen, einfachen
Postamenten ruhenden Löwengestalten. Die wunderbare, in ihrer Art einzige Schöpfung
des künstlerischen Genius erinnert an die classische Kunst, aber nicht so wie der zu Ansang
des XIX. Jahrhunderts gangbare Classieismns, sondern wie die Renaissance des
XV. Jahrhunderts sie aufgefaßt hat. Ein solches Werk konnte nur einem Geiste entspringen,
der die staunenswerthen Werke der altrömischen Jngenienrarchitekten mit den Augen
Brnnellescos und Michelangelos betrachtete. Es bleibt ein ewiges Räthsel, wie dieser
Geist gerade in einem englischen Ingenieur wohnte nnd gerade die ungarische Hanptstadt
mit einer Schöpfnng beschenkte, die in künstlerischer Hinsicht nirgends ihresgleichen findet.
Die allgemeine Abspannung, die auf die Ereignisse von 1848 und 1849 folgte,
lähmte auch die Bauthätigkeit. Von 1853 bis 1855 entstand nach dem Plane Adam Elarks
der Tunnel, der von dem Platz vor der Kettenbrücke durch den Festungsberg nach der
Christinenstadt führt; das dorische Säulenportal desselben, mit seinen einfachen Ver-
hältnissen von charakteristischer Gedrungenheit, ist ein erwähnenswerther Ban. In den
Fünfziger-Jahren erbaute der Wiener Architekt Ludwig Förster die Synagoge in der'
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (3), Volume 12
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Ungarn (3)
- Volume
- 12
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1893
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.49 x 21.91 cm
- Pages
- 626
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch