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Weisen war. Unter den vierhundert und einigen Mitgliedern des jetzigen hauptstädtischen
Repräsentantenkörpers würde kein Mensch mehr die vor fünfzig Jahren herrschenden
Typen entdecken.
Im Zeitalter der neueu Erfindungen nnd Einrichtungen sind ganze, eiust berühmte
Volksklassen verschwunden. Die Schiffer in ihren „Mentes" (Umhängejacken) voll silberner
Knöpfe, wie sie das Getreide des Alsöld in Schleppschiffen mit Pferdevorfpann heraus-
schafften, die Eilbauern, die mit vierspännigen Wagen den Verkehr zwischen Budapest
und Wien vermittelten, die reichen Griechen, in deren Händen sich der Innenhandel
vereinigte, die Fährleute, die im Winter das Hinüber und Herüber zwischen den beiden
Städten durch ihr „Luleimacheu", eiueu förmlich unterhaltenden Eissport ermöglichten, im
Sommer aber die Eilfertigen übersetzten, die Wassermänner, deren laute Rufe: „Donau-
wasser!" die Bevölkerung zur Anschaffung von frischem Touauspülicht ermuuterteu,
die durch ihren Wermnth und ihre Grobheit berühmten Wirthe: Alle, Alle sind sie
verschwunden.
Die Grobheit wurde übrigens Anno dazumal als Kraftfülle geschätzt uud mehrere
Volksklassen rangen um ihre Palme. Wollte man in gebildeten Kreisen Jemanden auf
seine ungeschlachte Mauier aufmerksam machen, so sagte man ihm: „Du bist der Dritte".
Als gröbster Mensch war nämlich der Fiaker Nr. 37 anerkannt; ihm folgte als Zweiter
der Eassier des Theaters; der Vierte war der „Sauwirth"; der dazwischen fallende dritte
Platz war dem guten Freunde vorbehalten. Auch das ist schon vorbei. Die Fiaker,
Cassiere und Wirthe sind seither alle höslich geworden — mir der gute Freuud ist noch grob.
Es gab übrigens auch einen besonderen Superlativ, iudem zwei Streitende ihre
Verbalinjurien mit dem Worte kröuten: „Du Jurat!"
Selbst die berühmten Pester Märkte, die sich noch vor dreißig Jahren als malerisches
Lebensbild in der Hauptstadt geltend machten, sind schon verblaßt. Die volkreichsten
Straßen der Stadt waren beiderseits der Länge nach mit Marktbuden besetzt, unter
deren Vordach das Krämcrvolk des In- und Auslandes, Jeder in der eigenen National-
tracht, seine Waaren feilbot. Jetzt ist jeden Tag „Pester Markt" nnd alle Waaren der
Welt sind in den prächtigen Schaufenstern der Kaufläden aufgestellt; Straßenbuden gibt
es keine mehr. Und wie lange noch, so wird Budapest auch eiue seiner malerischesten
Besonderheiten, den Obst- uud Geflügelmarkt auf dem Douauquai verloren haben; es
müssen nur erst die neuen Markthallen ins Leben treten. Und die neuen Einrichtungen
gestalten nicht nur die Volksklasseu um, sondern auch dereu Sitten und Charakter; die
„Dame der Halle" wird eiue ganz Andere sein als die „Franmahm-Höckerin" gewesen,
die überstattlich und im glühenden Sommer wie im knirschenden Winter gleich rothbackig
unter ihrem Segeltuchschirme saß.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (3), Volume 12
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Ungarn (3)
- Volume
- 12
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1893
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.49 x 21.91 cm
- Pages
- 626
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch