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Vörösmarty galt anfangs als Epiker für den größten ungarischen Dichter. Das
Epos: „Die Flucht Zalän's" tutäsa), welches das wichtigste Ereigniß bei der
Eroberung des Landes durch die Ungarn behandelt, erschien 1825, gerade als der
Wellenschlag der angehenden politischen Bewegung fühlbarer wurde und in der Literatur
wie im öffentlichen Leben die nationale Pietät sich den Erinnerungen einer großen Ver-
gangenheit zuwandte. Dies war auch eine Hauptursache der Wirkung des Heldengedichts.
Die Idee der Begründung des Vaterlandes hatte den jungen Dichter mächtig ergriffen,
allein sie war nicht hinreichend durch sagenhaften und geschichtlichen Stoff gestützt, so daß
es nicht wundernehmen darf, wenn die ungarische Kritik in ästhetischer Hinsicht gar
Manches gegen die Conception des Werkes einzuwenden fand. Die Schöpferkraft
Vörösmartys ist nicht stark genng, um eine abgerundete, in sich vollendete Handlung zu
schaffen, deren Einzelheiten unter einander in organischem Zusammenhange stünden; die
einzelnen Theile seiner Epen gelingen fast immer besser als das Ganze. Der „Flucht
Zalän's" folgten binnen kurzem die kleineren Epen: „Eserhalom", „Eger", „Tündervölgy",
„Szeplak", „Die Ruine", „Magyarvär", das Bruchstück „Delsziget" und „Die beiden
Nachbarburgen". Nur in diesem letzten ist ein starker tragischer Conflict dargestellt, in allen
aber quillt ein poetischer Reichthum, bezaubert eine Pracht der Töne und Farben, als sähe
man die aufgeregte Einbildungskraft der orientalischen Dichter sich in ziel- und schranken-
losen Weiten ergehen. Seine Helden, die Haupthelden zumal, erregen nicht immer ein
ausreichendes poetisches Interesse, doch ist der Leser hingerissen von der Anmuth der
Sprache, von dem odenartigen feurigen Aufschwung, der den ruhigen Gang der Erzählung
unterbricht, von dem Wohlklang der classischen Hexameter, wie sich dergleichen nur in der
griechischen und römischen Dichtung findet. Seine Lebensbilder und poetischen Erzählungen
indeß sind auch vorzüglich gebaut, besonders „Schöne Jlonka" (8?ex> Ilonka), ein völliges
Meisterwerk.
Die größte Ausdauer widmete Vörösmarty der dramatischen Dichtung, obwohl
seine mächtige lyrische Begabung gerade hier am wenigsten Erfolg haben konnte. Die
glänzenden Eigenschaften seiner Poesie fallen allerdings auch hier in die Augen; seine
Ursprünglichkeit, der fast unvergleichliche Reichthum seines Geistes, die Farbenpracht
seiner Bilder und Gleichnisse, seine regelmäßigen und klangvollen Jamben sind auch
heute außerordentlich wirksam, wogegen diese Werke den strengen Bau des Dramas, die
dramatische Zeichnung der Charaktere, den raschen Gang der Handlung oft vermissen
lassen. Seine in jüngeren Jahren verfaßten Schauspiele sind eher dialogisirte Geschichts-
bilder, allein schon in den Trauerspielen „Die Bluthochzeit" (Vei-näs?) und „Maröt-Bän"
versucht er stärkere tragische Conflicte zu bilden. Übrigens hat Vörösmarty auch auf diesem
Gebiete ein Meisterwerk: „Csongor und Tünde", dem die Erzählnng vom Königssohn
so»
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (3), Volume 12
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Ungarn (3)
- Volume
- 12
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1893
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.49 x 21.91 cm
- Pages
- 626
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch