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des Innern zum ersten Mal eingehend mit dem Nationaltheater. Vom Beginn der
Fünfziger-Jahre an hatte nämlich das Institut unter der Direction eines vom Statt-
haltereirath ernannten Theaterausschusses gestanden, dessen Mitglied auch der Intendant
war. Die Intendanten dieses Zeitraumes waren: Johann Simoncsics (1850 bis 1852),
Graf Leo Festetich, wiederum Simoncsics, Graf Gedeon Räday (1856 bis 1860), Michael
Nyeky (1861 bis 1862) und Samuel Raduötfay. Nun erforderte es die parlamentarische
Verantwortlichkeit, daß das mit Hilfe von Landesfonds erhaltene Nationaltheater unter
der Aufsicht des Ministers des Innern, als Verwalters dieses Fonds, stehe. Graf Georg
Kärolyi, der letzte Präsident jenes Ausschusses, übergab also den von ihm verwalteten
Fonds und reichte zugleich die Entlassung des Ausschusses ein. Seine Majestät ernannte
nun, auf Grund der Vorschläge der einberufenen Berathungscommission, einen direct
dem Minister des Innern verantwortlichen Direktor, und zwar zuerst Anton Zichy und
nach dessen baldigem Rücktritt Baron Felix Orczy.
Noch vor diesen Ereignissen hatte das Personal seine gewaltigsten Kräfte verloren.
Gabriel Egrefsy, Josef Töth, Szerdahelyi, Lendvay starben, Frau Jökai trat in den
Rnhestand. Mit Gabriel Egressy verschwand der größte ungarische Schauspieler seiner
Zeit. Josef Töth, war sein würdiger Zeitgenosse. Mit starkem komischen Talent und
erstaunlicher Gestaltungskraft begabt, erzielte er bei dem Publikum bedeutende Wirkungen.
Sein großes Talent, ja sein Leben scheiterte an der Gestaltung tragischer Helden. Der
Körper war den Anstrengungen des Geistes nicht gewachsen. Von seinen Lustspielrollen
sind die vorzüglichsten: Rikolti im „Geheimniß des Schrankes", Szegsü in der „Mama",
Molieres Geiziger und Tartuffe, Shakespeares Shylock. Auch sein Richard III., Jago,
Macbeth, Franz Moor, die Kardinäle Wolsey und Richelieu, Ludwig XI. n. s. w. haben
sich tief in das Gedächtniß eines Jeden eingeprägt, der sein bis in das kleinste Detail
ausgearbeitetes Spiel zu genießen wußte. Ein schwerer Schlag war es, als Koloman
Szerdahelyi, das „Muster eines Bonvivants", frühzeitig starb. Seine besten Rollen
waren die feinen französischen Salonhelden, wie Tholosan in den „Guten Freunden",
Raonl im „Achten Punkt", der Herzog im „Marquis von Villemer", Prosper Block im
„Letzten Brief" n. f. w., aber auch im Originalrepertoire schuf er viele ausgezeichnete
Figuren. Bald folgte ihm auch der jüngere Martin Lendvay, der zwar die Größe seines
Vaters nie erreicht hatte, aber doch der Liebling der Jugend war, denn Niemand wußte
die patriotischen Tiraden jener Jahre mit so zündender Wirkung zu declamiren wie er.
Seine besseren Rollen waren Hamlet, Karl Moor, Don Cesar de Bazan, Petrnceio n. s. w.
Ein Kind dieses Jahrzehnts war noch Frau Lina Hegedüs-Bodenbnrg, die erste
wahrhaft künstlerische Volksliedersängerin Ungarns. Ein erschütterndes Schicksal stürzte
sie nach kaum einjährigem Wirken vom Gipfel des Ruhmes ins Grab, wohin ihr nach
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (3), Volume 12
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Ungarn (3)
- Volume
- 12
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1893
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.49 x 21.91 cm
- Pages
- 626
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch