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Reformen gaben Stoff und Anlaß zu neuer Aufregung. Besonders war dies mit den auf
die Zerreißung Tirols abzielenden Bestrebungen der beiden wälschtirolischen Kreise der
Fall, die zwar vom Landtag und von der Regierung entschieden zurückgewiesen wurden,
aber im Reichstag eine Stütze fanden. Eine Riesenpetition der Bevölkerung Wälschtirols
mußte dem Streben ihrer Abgeordneten Nachdruck geben, während die Bewohner Deutsch-
tirols durch eine Adresse, welche 127.000 Unterschriften trug, ihrem Lande eine Ausnahme
von dem im Reichstag beschlossenen Religionsartikel erwirken sollte, der Tirol seine
Glaubenseinheit zu nehmen drohte. Der im Parlament für ungesetzlich erklärte Landtag
aber, welcher Ende Oetober, durch 26 Vertrauensmänner verstärkt, zusammengetreten war,
suchte die Rechtmäßigkeit und Nothwendigkeit seines Zusammentritts in der Denkschrift
vom 11. November, kurz vor seinem Ende, darzulegen. Die von ihm gewählte Activität
entsandte auf die Nachricht von der Thronentsagung des Kaisers Ferdinand und dem
Regierungsantritt Seiner Majestät des Kaisers Franz Joseph eine von mehreren Schützen-
hauptleuten begleitete Deputation an den Hof, um dem alten Kaiser die fortdauernde
Anhänglichkeit und Liebe der Tiroler zu betheuern und dem neuen Herrscher die besten
Glückwünsche zum Regierungsantritt zu überbringen.
Die Verfassung, die der neue Monarch nach der Auflösung des Reichsrathes in
Kremsier Österreich gab, brachte auch für Tirol eine Menge Neuerungen im Rechtswesen
und in allen Zweigen der Verwaltung und weckte durch einige Jahre eine Regsamkeit auf
diesem Gebiete, die gar sehr von der Ruhe der früheren Jahrzehnte abstach. Denn die
wichtigsten Errungenschaften im Rechtswesen und in der Verwaltung: Gleichheit aller
Staatsangehörigen vor dem Gesetze, Vereins- und Versammlungsrecht, Preßfreiheit,
persönliche Freiheit und Hausrecht, die Grundentlastung und andere Verfügungen riefen
auch in Tirol große Veränderungen hervor und gaben dem öffentlichen Leben ein ganz
anderes Gepräge. Die neue Verfassung für Tirol und Vorarlberg trug den veränderten
Verhältnissen in noch höherem Grade Rechnung als der Entwurf des Landtags vom
Jahre 1848. Im Gebiete der Verwaltung drang das Princip der Trennung des Politischen
vom Justiziellen bis in die untersten Kreise durch und entständen Einrichtungen, die zum
Theil bis iu dieGegenwart fortbestehen. Tirol und Vorarlberg erhielten als oberste politische
Behörde eine Statthalterei, welcher 4 Kreisämter mit 20 Bezirkshauptmannschaften
untergeordnet waren, die Justizgeschäfte erster Instanz übernahmen unter dem verbleibenden
Oberlandesgericht 5 Landesgerichte und 72 Bezirksgerichte. An die Stelle der Rentämter
traten als unterste Finanzorgane die noch bestehenden Steuerämter. Die gründlichsten
und wohlthätigsten Reformen aber, die im Schul- und Unterrichts-, namentlich im
Gymnasial- und Universitätswesen, gaben in Tirol nicht minder als anderswo diesen
Studien einen unverkennbaren Aufschwung und vermehrten die Zahl der Mittelschulen.
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Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Tirol und Vorarlberg, Volume 13
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Tirol und Vorarlberg
- Volume
- 13
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1893
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.12 x 23.1 cm
- Pages
- 624
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch