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wo Nothstand und Übervölkerung zu massenhafter zeitweiliger Auswanderung auf Arbeit
und Erwerb zwingen. In neuerer Zeit sind auch nicht wenige nach Amerika ausgewandert,
aber es hat dabei an bitteren Erfahrungen und abschreckenden Beispielen nicht gefehlt.
Manchmal sind solche Auswanderer in traurigem Zustande wieder zurückgekommen,
obwohl sie mit den schönsten Zukunftsträumen und mit Spottliedchen auf die Signori
ausgezogen waren.
Im Ganzen, von Ausnahmen, deren es überall gibt, abgesehen, ist der wälfch-
tirolische Bauer, um derb zu reden, ein prächtiger Kerl. Er ist offen, aufgeweckt und findig,
er hat Schliff in Sitte und Rede, er zeigt unverwüstliche Lust zur Arbeit, so lange sie ihm
nur wenigstens das karge tägliche Brod einträgt. Er ist ausdauernd, abgehärtet gegen
Hitze und Frost und äußerst genügsam. Seine Nüchternheit kann freilich zuweilen am
Weine Schiffbruch leiden, wobei er im Streit erregt und gereizt leicht auch zum unver-
meidlichen Messer greift. In einzelnen Gegenden war in früherer Zeit selbst die Blutrache
uicht unbekannt. Den Stolz des dentschtirolischen Bauernvolkes, welches alles „Herrische"
haßt, kennt der wälschtirolische Bauer nicht. Es ist anch charakteristisch, daß er dem
Teutschen in der Regel freundlich und mit Vertrauen entgegenkommt und sich gegen ihn
zuvorkommend benimmt. Den Priestern, wenn sie nur der Klugheit guter Seeleuhirteu
nicht entbehren, ist er in Achtung, aber nicht blind gehorsam ergeben. Noch einen Vortheil
hat er voraus; Dank dem edeln Geschenk des Bacchus keimt er das Schnapstrinken
nicht, welches in Nordtirol — es wäre unnütz, sich darüber täuschen oder es bemänteln
zu wollen! — das Landvolk physisch und moralisch herabbringt. In einem andern Stück
aber ist er hinter dem dentschtirolischen Bauer zurück, nämlich an Sinn für häusliche und
öffentliche Sauberkeit, wovon der Hauptgrund in der Vereinigung der Wohn- und
Wirthschaftsgebäude liegt. Das ist der wälschtirolische Bauer mit seinen Licht- nnd
Schattenseiten.
Nicht gar selten, namentlich in abgelegenen Thälern, stößt man noch auf patriar-
chalisches Familienleben. Kein wälfcher Bauer setzt sich oder läßt sich auf ein Ausgedinge
setzen. Die erwachsenen Söhne mögen heiraten und im Hause bleiben, man engt sich ein,
man schiebt sich und rückt zusammen, so weit es möglich ist. Es wächst eine Schar von
Enkeln heran, der Alte hat Mühe, sich die Namen alle zu merken, aber Familienhaupt und
Herr im Hause, auch wenn die Schwiegertöchter zuweilen nicht gehorchen wollen, bleibt
er, so lange ihn der Himmel bei Leben und Verstand läßt.
Im Winter lebt der Signore seinen Geschäften oder Gewohnheiten gemäß, während
der Bauer sich zu Hause zu schaffen macht oder in den Feldern hackt und gräbt. Im Etsch-
thal ist diese Jahreszeit in der Regel mild, doch fehlt es manchmal an überraschenden
ausgiebigen Schneefällen und an empfindlicher Kälte nicht. Ist der Winter vorüber, so
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Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Tirol und Vorarlberg, Volume 13
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Tirol und Vorarlberg
- Volume
- 13
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1893
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.12 x 23.1 cm
- Pages
- 624
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch