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Himmelfahrtstag (15. August) aus. Es ist die neueste und höchst entwickelte Phase einer
Tracht, welche ungefähr aus dem Anfang unseres Jahrhunderts stammt; früher war sie
anders, jedenfalls einfacher, darum vielleicht sogar schöner. Stricken und Sticken lernten
die Tesineriuueu erst von Fremden. Ja, in älterer Zeit soll in Val Tesino eine auch noch
so zahlreiche Familie zusammen nur ein einziges Paar Schuhe besessen haben, und es soll
ein Familieuereiguiß gewesen sein, wenn wieder einmal jenem Familienglied, welches
sich der größten Füße erfreute, zugleich für alle ein neues Paar Schuhe angemessen
wnrde. Dieses wurde von den Familiengliedern abwechselnd nur dauu getragen, wenn sie
zur Communion gingen. Aber die wackere Tesinerin steht darum nicht an, an Werktagen
im gewöhnlichen Hauskleid auch die schwerste« Feldarbeiten zu verrichten. Für einen
auswärtigen Freier bleibt es jedoch immer ein Wagestück, sich aus Val Tesino eine
Frau zu holen, weil sie ihm leicht entläuft, wenn bei ihr das Heimweh stärker wird als
die Liebe.
Noch einer Frauensitte muß ich gedenken, nämlich der, sich an Sonn- und Fest-
tagen in einen großen, den Kopf und über dem meist schwarzen Gewände fast den ganzen
Leib bedeckenden weißen Schleier zu hüllen. Diese Sitte muß einst, wenigstens im Lager-
thal, ziemlich allgemein gewesen sein, ist aber immer mehr und mehr abgekommen und
heute fast gänzlich verschwunden.
Die liebe Armuth gönnt an manchen Orten in den Thälern und auf den Bergen
auch dem weiblichen Geschlecht den Luxus theurer Lederschuhe nicht; es werden auch an
Festtagen Holzschuhe, sFÜlmero, ckamdi e, cospi und wie sie noch heißen mögen, getragen.
Welches Geklapper, wenn die ländlichen Huldinnen an Sonntagen, eine nach der anderen
in die Kirche treten und sich auf ihre Plätze begeben!
In der Anlage der Wohnungen nähern sich die Ladiner den Deutschtirolern,
da bei ihueu die Bauernhäuser theils aus Stein, theils von Holz uud die Wohn-
uud Wirthschaftsgebäude in der Regel getrennt sind. Bei den Wälfchtirolern ist ein
Typus des Bauernhauses nicht herauszufinden, ja man mag zweifeln, ob es jemals
einen solchen einheitlich gegeben hat. Manchmal tritt man dnrch einen Thorbogen in
einen Hofraum; zu ebener Erde befindet sich der Stall mit Nebenställen, Schupfen und
Holzlegen, mitunter wohl auch noch eine Stube und die Küche. Im ersten Stock, von
außen oder von innen mit herumlaufenden Gängen oder Söllern versehen, befinden sich
verschiedene Wohu- und Arbeitsräume und die Einlagen für Heu und Stroh. Aber alles
dies ist mit Ausnahme der Ställe nach Bedürfniß und Zweckmäßigkeit veränderlich, da
ja in einem Hause manchmal mehrere Familien zusammenwohnen und selbst die einzige
Küche getheilt werden muß. Eigentlich charakteristisch bleibt nur das luftige, seltenem
aus Schindeln oder Brettern, meist aus Hohlziegeln bestehende Dach, unter welchem
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Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Tirol und Vorarlberg, Volume 13
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Tirol und Vorarlberg
- Volume
- 13
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1893
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.12 x 23.1 cm
- Pages
- 624
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch