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Nicht selten helfen dem Menschen gegen diese übernatürlichen Wesen die Thiere, deren
Sprache man durch ein Zaubermittel verstehen kann. Die mythologische Bedeutung dieser
Volksmärchen, insofern sie noch darin zu finden ist, können wir hier freilich nicht erörtern.
Ihre Anzahl ist sehr groß, wie davon die von ihrem vortrefflichen Erzähler K. I. Erben
herausgegebenen Sammlungen zeugen; andere rühren von B. Nemcovä, I. Maly, Kosin
von Radostov und Anderen her.
Ihrem Inhalt nach sind die böhmischen Märchen und Sagen vorwiegend ernst, aber
es kommen darin auch Stellen vor, ja es gibt auch ganze Märchen, die durch ihren
Volkshumor ausgezeichnet sind: so die charakteristischen Märchen vom dummen Hans, dem
Ofenhocker, der bis zu seinem zehnten Jahre gesäugt wurde, vom ungeheuren Kraftmenschen
und großen Esser, der gutmüthig, aber im Allgemeinen nicht so dumm, als sich seiner
körperlichen und seelischen Stärke unbewußt ist uud daher häufig Anderen dient.
Historische Sagen und Weissagungen, die das Königreich Böhmen betreffen, liebt
das böhmische Volk besonders, ebenso wie es auch böhmische Chroniken fleißig liest. In der
Volkstradition hat sich zumeist die Erinnerung an die ältesten, mythischen Zeiten erhalten,
doch hat auch die Volkssage so manche, wirkliche Begebenheit der späteren Zeiten nach
Märchenart ausgeschmückt. Diese Sagen sind in allen böhmischen Gegenden bekannt und
daneben hat jede Gegend ihre eigenen Sagen von alten Burgen, Kirchen, Klöstern und
Schätzen. Den Mittelpunkt aller Sagen bildet das königliche Prag, „matiälca ?ralia*
(Mütterchen Prag), wie es das Volk nennt, um der schmachtenden Liebe, die es zu dieser
Stadt hinzieht, Ausdruck zu geben. Von der großen Zahl der Sagen können wir hier
selbstverständlich nur die bekanntesten berühren; so die Sage von der Ankunft des Stamm-
vaters Cech, der mit seinen Scharen auf dem Georgsberge (ktip) Halt machte, von dem
ersten Fürsten Krok, besonders aber von seinen drei Töchtern Kazi, Teta und Libusa.
Unter diesen ist Libnsa, eine weise Fürstin und Seherin, der Mittelpunkt eines ganzen
Sagencyklus. Das Volk erzählt sich, wie sie die Stadt Prag gegründet und ihren Ruhm
prophezeit hat, von ihren Zaubergärten um den Vysehrad herum, von ihrem Bade
unter dem Vysehrader Felsen, von der Wasserquelle Jezerka in der Nähe von Vysehrad,
wo Premysl und dann seine Nachfolger zu Fürsten proclamirt und von hier unter
feierlichem Geleite auf den Vysehrad geführt wurden, auch davon, wie Libusa den
Streit zweier Brüder schlichtete, wie sie den Vladyken Premysl von Stadic vom Pfluge
auf den Fürstenthron berief, von dem starken Helden Bivoj, ihrem Schwager, vom
Mädchenkriege, der nach dem Tode der Libusa unter der Anführung der tapferen
Vlasta ausgebrochen war, von der verführerischen Särka und von Etirad, vom Falle der
Mädchenburg Devin. Doch nicht blos Vysehrad, sondern auch die Burg Libitz in der
Nähe von Podebrad, wo der heilige Adalbert geboren ward, war nach der Sage ihr Sitz.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Böhmen (1), Volume 14
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Böhmen (1)
- Volume
- 14
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1894
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.78 x 21.93 cm
- Pages
- 634
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch